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Studie

Netflix gegen Einsamkeit?

Studie von zwei HdM-Studentinnen gibt Aufschluss über Zusammenhang zwischen Streaming-Diensten und erlebter Einsamkeit

Neigen wir dazu, uns in Serien zu vertiefen und dabei die Zeit zu vergessen – nur um über unsere eigene Einsamkeit hinwegzusehen? Diese Frage stellten sich Christina Schulz und Chrisli van Gend, Studentinnen im Studiengang Informationsdesign an der Hochschule der Medien (HdM) und entwickelten eine Studie, die Antworten auf diese Frage sucht. Dafür haben sie den "Best Paper Award“ ihrer Fakultät bekommen.

Zur Detailansicht Chrisli van Gend, Foto: privat

Chrisli van Gend, Foto: privat

Zur Detailansicht Christina Schulz, Foto: privat

Christina Schulz, Foto: privat

Obwohl das klassische Fernsehen nach wie vor die Nutzungslandschaft dominiert, erfreuen sich Online-Streaming-Dienste heutzutage immer größerer Beliebtheit. Doch geschieht das, weil wir uns tief in unserem Inneren einsam fühlen und eine Leere in uns füllen möchten? Mit dieser Thematik beschäftigt sich Studie "Netflix gegen Einsamkeit", die die beiden Informationsdesign-Studentinnen Christina Schulz und Chrisli van Gend von der Hochschule der Medien im Rahmen der Vorlesung für Angewandte Medienpsychologie unter der Leitung von Prof. Dr. Roland Mangold entwickelt haben. Die Idee für die Forschungsfrage kam Christina Schulz durch Beobachtungen im eigenen Bekanntenkreis: "Mir fiel auf, dass einige meiner Freunde wirklich viel Zeit auf Netflix & Co. verbrachten. Durch etwas Recherche zum Thema Mediennutzungsverhalten dachte ich dann, dass das vielleicht auch etwas mit erlebter Einsamkeit zu tun haben könnte."

Die Attraktivität, die Netflix & Co. überhaupt ausmacht

Mittlerweile nutzen der Studie zufolge immerhin um die 160 Millionen Menschen weltweit Netflix & Co. Ungefähr ein Drittel der Nutzer in Deutschland gibt an, Streaming-Plattformen sogar täglich zu nutzen. Das Auffällige dabei ist, dass es sich bei diesen Nutzern in der Regel um 14 bis 29-Jährige und Studierenden handelt. Gerade in dieser Alterssparte hat sich die Reichweite von Streaming-Diensten seit 2017 sogar verdoppelt. Außerdem sind Studierende in diesem Alter aufgrund ihrer Lebenssituation und ihrem jeweiligen persönlichen Entwicklungsstand besonders gefährdet, unter Einsamkeit zu leiden. Sie tendieren dazu, vor unangenehmen Realitäten und Gedanken des Studentenlebens zu fliehen. Dazu haben Forscher bereits einen Zusammenhang zwischen wahrgenommener Einsamkeit und sozialem Rückzug bei Studenten festgestellt. Sitzen junge Leute dann nur noch vor ihren Endgeräten um Serien zu streamen und Binge Watching zu betreiben?

Dass Streaming-Dienste für junge Menschen besonders attraktiv sind, lässt sich auf verschiedene Aspekte zurückführen, die das Seherlebnis beim Streaming grundlegend vom klassischen Fernsehen unterscheidet. Auf der einen Seite steht die Unabhängigkeit von festgelegten Sendezeiten des klassischen, linearen Fernsehens. Dass der audiovisuelle Genuss dabei nicht durch Werbeunterbrechungen gestört wird, ist ein entscheidender Vorteil für die Nutzer. Auch der Zugang zu unterschiedlichen, zum persönlichen Geschmack des jeweiligen Nutzers passenden Inhalten, der durch die Anwendung bestimmter Algorithmen gewährleistet wird, hilft bei der Entscheidungsfindung für einen Serienmarathon. Wir können uns nun also zu jeder beliebigen Zeit selbst aussuchen, wann und wie wir etwas anschauen möchten, was zu uns passt.

Binge-Watching als Suchtverhalten

Die Studie von Schulz und van Gend greift auch vergangene Erkenntnisse in der Medienpsychologie auf. So weisen die beiden Autorinnen darauf hin, dass es bereits in letzten Jahren Studien gab, die das Suchtpotenzial von Fernsehkonsum behandeln. In den Studien wird aufgezeigt, dass Menschen beim Fernsehen ein Gefühl von Entspannung erleben. Dieses hört auf, sobald der Fernsehkonsum beendet wird, was das Gefühl von Stress zur Folge hat. Streaming-Dienste ermöglichen ihren Nutzern aufgrund der technischen Möglichkeiten noch nie dagewesene Kontrolle und Freiheit darüber, so viele Inhalte wie gewünscht konsumieren zu können. So können Nutzer ihre Fernsehaktivitäten so lange wie gewollt aufrechterhalten. Damit fällt Binge-Watching, wie auch Binge-Eating oder Binge-Drinking, unter die Kategorie "Suchtverhalten", so die Autorinnen. Mit dem Begriff Binge-Watching ist ein grob skizziertes Nutzungsverhalten gemeint, in dem mindestens zwei Folgen derselben Sendung in einer Sitzung angeschaut werden. Diese Aktivität kann sich auch mehrere Tage in der gleichen Art wiederholen. Eine detailliertere Begriffsdefinition gibt es derzeit nicht, da es sich bislang um ein neuartigeres Phänomen handelt, das noch genauer erforscht werden muss.

Auch Dr. Roland Mangold, Professor für Informations- und Kommunikationspsychologie an der HdM, erkennt ein gewisses Suchtpotenzial bei Streaming-Diensten. "Die Gruppe, die Streaming-Dienste nutzt, um Langeweile zu überbrücken und den Tag damit zu füllen, ist eher suchtgefährdet", erklärt er. Medienpsychologen wie er diskutieren bereits seit Jahrzehnten über vergleichbare Phänomene in der Medienwelt. Werden Menschen beispielsweise gewalttätiger, wenn sie viele Filme gesehen haben, in denen Gewalt ein Thema ist? "Es gibt eine Tendenz zu Pauschalisierung, die aber so nicht stimmt und genauerer Untersuchung bedarf. Wie eben auch beim Streaming", so Mangold weiter.

Kein Grund zur Sorge

Das lässt sich auch in der mit dem "Best Paper Award" ausgezeichneten Studie der beiden Studentinnen erkennen. Als Basis ihres selbst ernannten "Quasi-Experiments" befragten sie über 100 Studierende mittels eines eigens erstellten Online-Fragebogens nach der Nutzungshäufigkeit und Nutzungsintensität der zur Verfügung stehenden Streaming-Dienste. Außerdem wollten die beiden Studentinnen herausfinden, ob die Streaming-Nutzer mehrere Folgen derselben Sendung hintereinander ansehen und ob die Streaming-Aktivität mehr Zeit aufbrauche als ursprünglich geplant. Drei der vier Hypothesen, die die Studie aufstellte, ließen sich nach der Auswertung der Online-Umfrage widerlegen. Dies erklären sich Schulz und vand Gend dadurch, dass sie von Nutzungsdauern und Zahlen ausgegangen waren, die man bei US-amerikanischen Studierenden erhoben hatte und in Europa wahrscheinlich andere Nutzungsgewohnheiten vorliegen würden. Einzig wurde die Hypothese bestätigt, die besagt: Je einsamer sich Studierende fühlen, desto eher sind sie geneigt, mehr Zeit mit Online-Streaming-Diensten zu verbringen, als sie ursprünglich geplant hatten. "Das ist kein überraschendes Ergebnis", bestätigt auch Prof. Mangold. "Es ist normal, dass die Leute das Zeitgefühl verlieren, wenn sie etwas anschauen. Es gibt keinen Grund, sich zu sorgen."

Mangold betont auch, dass die Studie zwar eine Verbindung zwischen Netflix und erlebter Einsamkeit aufzeige, es dafür aber keinen kausalen Zusammenhang gäbe. Das läge an der schwierigen Ermittlung des Grades der erlebten Einsamkeit, wie auch die beiden Studentinnen in ihrer Studie erklären. Sie befragten die Studienteilnehmer in ihrem Online-Fragebogen direkt nach ihrem jeweiligen subjektiven Einsamkeitsempfinden. "Das macht es wenig reliabel", stimmt Mangold zu. Es sei wichtig zu wissen, ob es sich bei der erlebten Einsamkeit um situativ bedingte, momentane oder chronische Einsamkeit handele, erklären die Studentinnen in ihrer Studie. Menschen, die unter chronischer Einsamkeit leiden, verwenden Fernsehen nicht mehr als Instrument zur gezielten Einsamkeitsbewältigung, sondern eher passiv, gewohnheitsmäßig und wenig absichtsvoll.

"Ich schaue gerne Dramen auf Netflix an. Dann auch lieber Serien als Filme, weil sie über einen längeren Zeitraum Unterhaltung bieten", gibt Studienleiterin Chrisli van Gend zu. Ihre Kommilitonin Christina Schulz ergänzt: "Dass man da ab und zu mal versumpfen kann, passiert mir auch. Aber im Allgemeinen schalte ich nach zwei oder drei Folgen aus und mache etwas anderes." Professor Mangold selbst hat sich eigenen Angaben zufolge erst vor kurzem einen Netflix-Zugang einrichten lassen. Er gesteht: "Mit Serien hab ich es nicht so. Ich bin ein klassischer Kinofilmegucker und liebe richtig gut gemachte Horrorfilme ohne zu viel Blut." Der gebürtige Ludwigshafener sei zwar grundsätzlich nicht abgeneigt, Serien zu schauen, doch er strukturiere seinen Alltag lieber anders - beispielsweise mit seiner Arbeit an der HdM: "Ich bin rasend stolz. Christina Schulz und Chrisli van Gend haben eine spannende und gut ausgearbeitete Studie entwickelt. Was für mich am Herausstechendsten war, ist, dass wir an der HdM bereits viele fähige Studierende haben, die solche Studien machen können. Sie haben tolle Ideen und setzen diese auch so um. Unsere Studierenden sind forschungsmäßig echt gut drauf."

 

Giuseppa Maria Spatola

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