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Trash-TV für jedermann

Die Faszination für Reality-Shows

Love Island, die Bachelorette oder Promi Big Brother: Reality-Shows scheinen so beliebt wie nie. Kein Wunder, dass Medienmacher jede Menge Geld und innovative Ideen in Sendungen stecken, um die Zuschauer bei Laune zu halten. Doch was macht Reality-TV so einzigartig und erfolgreich? Kommunikationsprofi Dr. Franco Rota, Professor im Studiengang Werbung und Marktkommunikation an der HdM, erklärt im Interview die Faszination von Trash-TV.

Reality-Formate wie etwa Love Island gehören für viele in Sachen TV bereits zum Pflichtprogramm, Foto: Screenshot Website www.rtl2.de

Reality-Formate wie etwa Love Island gehören für viele in Sachen TV bereits zum Pflichtprogramm, Foto: Screenshot Website www.rtl2.de

HdM: Warum sind Reality-Shows momentan wieder so beliebt?

Prof. Franco Rota: Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand: Wenn man in Zeiten von Corona viel Zeit hat und den ganzen Tag zuhause ist, stellen Reality-Shows eine erfolgreiche Unterhaltung dar. Durch den Mangel an Sozialkontakten, und den manchmal krampfhaften Versuch, diese durch Online-Konversationen aufrecht zu erhalten, sehnen sich Menschen noch mehr nach Sozialität als normalerweise. Dafür können Reality-Shows durchaus ein virtueller Ersatz sein, weil sie Nähe am Menschen und eine gewisse Authentizität simulieren.

HdM: Aus welchen weiteren Gründen schauen Menschen Reality-TV?

Prof. Franco Rota: Neben dem Unterhaltungsfaktor und der Simulation von sozialem Leben und Nähe, spielt dabei die Identifikation eine wichtige Rolle. Es ist häufig so, dass man sich mit den Protagonisten solcher Shows identifiziert, man sucht sich Charaktere aus, bei denen man denkt, dass sie einem nahestehen. Das ist jetzt insbesondere während Corona, aber auch sonst so.

HdM: Einige Reality-Shows sind über mehrere Jahre Quotenschlager, wiederum andere werden nach den ersten Folgen direkt eingestellt. Was macht ein erfolgreiches Reality-Format aus?

Prof. Franco Rota: Es muss an der Grenze der öffentlichen Moral produziert sein, unterhaltsam sein und Nähe simulieren. Der Zuschauer muss das Gefühl haben, dass er an der Sendung teilnimmt. Es ist umso interessanter für ihn, je prominenter die Teilnehmer sind. Je unbekannter die Teilnehmer sind, desto niedriger ist der Reiz, das Format zu verfolgen und die Identifikation mit den Charakteren. Beim Aspekt der Unterhaltung ist wichtig, dass es sich um ungewöhnliche Situationen oder Orte dreht - eben alles, was über den Alltag des Durchschnittsmenschen herausreicht. Zum Beispiel die Location von Big Brother war irre, eingesperrte Teilnehmer; das Dschungelcamp, ein exotischer Ort, der zu einer Art Wohnzimmer wurde oder die Luxus-Locations wie bei Bachelor-Formaten.

HdM: Würden Sie sagen, Reality-Formate, die im Alltag stattfinden, sind weniger erfolgreich als solche mit außergewöhnlichen Locations?

Prof. Franco Rota: Früher gab es Mittagsshows wie "Arabella", die die Banalität des Alltags gezeigt haben und die auch sehr erfolgreich waren. Deshalb kommt es auch auf die Protagonisten an. Wenn ein Familienstreit gezeigt wird, der jenem zuhause nahekommt, ist der Identifikationsgrad sehr hoch. Der Zuschauer denkt sich: "Denen geht es wie mir". Die Thematik muss aber sehr gut durchdacht werden und gescripted sein. Da ist der Erfolgsfaktor dann nicht die Location, sondern die Dramatik der sozialen Kontakte.

HdM: Wieso glauben Zuschauer, dass Reality-Shows "echter" als Serien oder Filme sind, obwohl auch bei diesen Produktionen gescripted und geschnitten wird?

Prof. Franco Rota: Ich denke, das ist so, weil Reality-TV eine Live-Situation suggeriert und der Rezipient dann nicht mehr an die Umstände denkt. Oder er nie wusste, wie eine solche Show entstanden ist. Viele wissen allerdings gar nicht, dass solche Formate gecastet, simuliert oder gescripted sind. Die Zuschauer schauen sich die Show an und dann finden diese ganz normalen psychologischen Mechanismen, wie zum Beispiel Identifikation, Nähe, Emotionalität, Fremdscham oder die Begeisterung für einzelne Charaktere statt. Die Menschen denken, das ist live. Das, was wir als Medienprofessionalisten hinter den Shows sehen, wird beim normalen Zuschauer gar nicht wahrgenommen oder ausgeblendet.

HdM: Zum Thema Fremdscham: Es gibt viele Momente, in denen Zuschauer sich für Teilnehmer fremdschämen, ohne sie persönlich zu kennen. Woher kommt dieses Gefühl?

Prof. Franco Rota: Das Phänomen, dass Fremdscham stattfindet, ist im Besonderen eines, das mit Reality-Shows aufkam. Die Leute, die in solche Formate gehen, scheinen eine andere Schamgrenze und Vorstellung von Moral zu haben als diejenigen, die zuschauen. Sie sind enthemmter und folgen damit auch nicht einer öffentlichen Moral. Sie gehen raus und sagen: "Ich bin individuell und mache mein Leben so wie es mir passt und es ist mir egal, ob der Pfarrer oder die Oma das unmoralisch finden oder nicht." Die, die sich dafür schämen, folgen wiederum einem wohligen Gefühl und denken: "So entblödet habe ich mich nicht, wie die da sind." Das ist aber ebenso ein unterbewusster Prozess, bei dem man denkt, dass man so etwas nicht tut, ohne darüber zu differenzieren. Da ist der Trigger oder die Differenz zwischen jenen, denen es egal ist, was die anderen sagen und jenen, die sich unter sozialer Kontrolle befinden, ohne es zu wissen. Wenn es den Unterschied in Moralvorstellungen und Geschmack nicht geben würde, dann würden sich viel mehr Leute dazu bereit erklären, in solche Shows zu gehen und sich darstellen zu lassen.

HdM: Dieses Jahr standen einige Teilnehmer von "Promis unter Palmen" gegen Ende der Show in der Kritik, dass sie Mobbing betreiben würden und das zu weit ginge. Sollte man dafür Grenzen bei Reality-TV setzen?

Prof. Franco Rota: Das Problem ist, inwieweit man den Individualismus einschränken möchte. Teilnehmer solcher Sendungen wissen, worauf sie sich einlassen. In solchen Formaten kann Mobbing natürlich stattfinden oder geplant sein. Aus diesem Grund folgen die Sender auch den gängigen Moralvorstellungen und gehen auch unter Umständen einem moralischen Veränderungsprozess nach. Wenn die Leute sagen würden, dass sie das nicht machen würden, dann würde man solche Sendungen nicht produzieren. Eine dramaturgische Grenze würde ab dem Zeitpunkt erreicht werden, wenn sie gegen Gesetze verstoßen würde.

HdM: Wie schätzen Sie die Zukunft von Reality-TV ein und welche Rolle spielen dabei ergänzende Sendungen auf sozialen Medien?

Prof. Franco Rota: Für die Hardcore-User ist das ein gefundenes Fressen, nachher noch Expertisen und Meinungen zur einen oder anderen Sendung zu haben. Wenn man Inhalte wie Zusatzinformationen, Making-Ofs unter dem Aspekt der Zuschauerbindung sieht, sind sie wichtig. Ich denke, dass Reality-Formate auch deshalb weiterhin beliebt sein werden, weil die Inhalte in Social-Media-Plattformen immer mehr zum Treiber für solchen Content werden.

 

Foto Startseite und Artikelbild: Screenshot via Website www.rtl2.de/sendungen/love-island-heisse-flirts-wahre-liebe, alle Rechte/Copyright liegen bei RTL2

Jennifer Mareen Kögel

VERÖFFENTLICHT AM

11. September 2020

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