Vortrag

Coworking Spaces als Ansatz zur Förderung der Kreativwirtschaft im Ländlichen Raum

Die Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft (KKW) sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in urbanen und in ländlichen Räumen. Sie tragen zur regionalen Identitätsstiftung sowie zur Standortqualität bei und leisten wichtige Beiträge auch für die Entwicklung anderer Wirtschaftssektoren. (vgl. Landtag Baden-Württemberg (2016)

In der Studie „Kreativwirtschaft im Ländlichen Raum: Situationsbeschreibung und Entwicklungspotenziale" (vgl. Engstler & Mörgenthaler, 2015) wurden unterschiedliche Wahrnehmungen der KKW-Branchen und Einschätzungen zu deren Bedeutung als Wirtschaftsfaktor als zentrales Problem im Hinblick auf die Entwicklung und das Wachstum dieser Teilbranchen im Ländlichen Raum identifiziert. Die heterogenen Strukturen der KKW-Branchen erschweren es Politik bzw. Verwaltung und auch den Akteuren selbst, sämtliche Teilbranchen zu überblicken, deren Strukturen und Prozesse zu verstehen und förderpolitische Ansätze abzuleiten. (vgl. Söndermann et. al.,2009), S. 6; Dapp & Ehmer, 2011, S. 7f.) 

Hier setzt die Studie "Kreativwirtschaft im Ländlichen Raum: Kommunikationskonzept und Förderansätze" an, die im Auftrag des Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg (MLR) an der Hochschule Medien (HdM) durchgeführt wird. Im Rahmen einer gezielten Befragung wurden rund 117 Gemeindevertreter und 260 Kreativschaffende im Ländlichen Raum Baden-Württemberg u. a. zur regionalen Sichtbarkeit der Kreativwirtschaft und hinsichtlich der Potenziale von Coworking-Ansätzen zur Förderung der regionalen Kreativwirtschaft befragt. Hier zeigte sich, dass weniger als ein Drittel (27 Prozent) der befragten Gemeindevertreter bereits mit dem Begriff der KKW vertraut sind. Rund jeder Zweite (55 Prozent) gab allerdings an, dass Unternehmen der Teilbranchen der Kreativwirtschaft in der Gemeinde ansässig sind, sie aber noch nicht unter dem Sammelbegriff der Kreativwirtschaft wahrgenommen werden. Übereinstimmend damit bestätigen fast zwei Drittel (65 Prozent) der Kreativschaffenden selbst eine eher gering(e) oder sehr gering(e) Sichtbarkeit der Kreativbranchen in den Regionen.

Das Projekt hat deshalb zum Ziel, die KKW-Branchen in das Sichtfeld von Politik und Verwaltung rücken und die Akteure der KKW auf die vorhandenen, speziellen Förderprogramme und Beratungsmöglichkeiten für Kreativschaffende aufmerksam zu machen. Einen besonderen Schwerpunkt bei der Bewertung von konkreten Förderansätzen in der Studie bilden die Potenziale von Coworking Spaces und Kreativzentren im Ländlichen Raum. Sowohl in Deutschland als auch im europäischen Ausland gibt es erfolgreiche Beispiele, welche die Zusammenarbeit von Kreativschaffenden und Kommunen zur Einrichtung solcher Zentren belegen. (vgl. Micropol Interreg, 2014)

Der Coworking-Trend in der Arbeitswelt kann einen wichtigen Ansatzpunkt zur Stärkung der Standortattraktivität von Regionen darstellen. Hierüber hofft man auch, gut ausgebildete Kreativschaffende und Gründer in die Regionen zurück zu holen (z. B. Studien-Rückkehrer). (vgl. Brübach-Schlickum, 2016; FH Wiener Neustadt / Wieselburg. 2016). Da Coworking Spaces vielerorts aus einem Bottom-up-Prozess heraus entstehen, also aus einem bereits bestehenden Netzwerk oder einer Initiative, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich ein nur formal eingerichteter Coworking Space automatisch füllt. (vgl. Bizzarri, 2010) Es muss daher untersucht werden, auf welche Weise Gemeinden und Kommunen untereinander und mit bestehenden Netzwerken kooperieren können, um die Potenziale von Coworking Spaces oder Kreativzentren regional nachhaltig zu erschließen. Zudem gilt es zu klären, welche Faktoren zu einem Erfolg oder Misserfolg beitragen und welche Rollen eine Gemeinde bzw. Kommune in einem solchen System einnehmen soll. Der Coworking-Ansatz ist nicht auf eine spezifische Arbeitssituation der Kreativschaffenden zu begrenzen. Vielmehr wird durch die damit erzielbare Sichtbarkeit der Kreativen und der Funktion dieser Orte als Kontakt- und Kommunikationsorte ein Ankerpunkt geschaffen, der über die Kreativbranchen hinaus zur Stärkung regionaler Wirtschaftskraft beiträgt.

Im Rahmen der Studie wurde aufgearbeitet, inwiefern die Arbeit in Coworking Spaces für die Kreativschaffenden vor dem Hintergrund der besonderen Arbeitssituation von Relevanz ist. In der Befragung wurden die Kreativen deshalb sowohl zu ihrem aktuellen direkten Arbeitsumfeld (Arbeitsort, Besitzverhältnisse der Räumlichkeiten, Raumart) als auch zu aktuellen kooperativen Arbeitssituationen befragt. Dabei zeigt sich, dass über die Hälfte (53 Prozent) der Teilnehmer im eigenen Wohnort arbeiten und zu fast zwei Dritteln (64 Prozent) eigene Räumlichkeiten nutzen. Dabei gehen gut die Hälfte (56 Prozent) ihrer Tätigkeit in einem Büro nach, während multifunktionale Räume oder Werkstätten von 24 bzw. 14 Prozent genutzt werden. Besonders häufig wird in der täglichen Arbeit mit Kunden (81 Prozent häufig/sehr häufig) sowie Mitarbeitern oder Kollegen (46 Prozent häufig/sehr häufig) kooperiert. Mit neuen Arbeitsformen wie die Arbeitssituation in Coworking Spaces haben bislang nur 11 Prozent der Kreativschaffenden bereits eigene Erfahrungen sammeln können, wobei eine Aufgeschlossenheit und Interesse an diesen Konzepten erkennbar ist. Rund zwei Drittel der Kreativschaffenden (67 Prozent) hat bereits eine klare Vorstellung von Coworking als Arbeitskonzept oder hat den Begriff zumindest schon einmal gehört. Anders sieht es bei den befragten Gemeindevertretern aus, in diese Gruppe der Befragten gaben knapp zwei Drittel (64 Prozent) an, im Rahmen der Befragung zum ersten Mal vom Begriff Coworking gehört zu haben.

In der weiteren Ausarbeitung des Projekts wird es darum gehen die gewonnen Erkenntnisse zu einem schlüssigen Förderkonzept für Gemeinden, Kommunen und Netzwerke zusammenzufassen. Es gilt demnach den Menschen vor Ort Beispiele und Möglichkeiten aufzuzeigen um diese als Orientierungshilfe zur Erfassung von lokalen und regionalen Bedarfen, Potenzialen und vorhandenen infrastrukturellen und menschlich/unternehmerischen Strukturen zu nutzen. Vor diesem Hintergrund wird daher untersucht, welche Schritte Gemeinden und Kommunen unternehmen können bzw. müssen, um die Nachfrage nach Arbeitsplätzen in Coworking Spaces zu erfassen und diese mit etablierten und neuen Modellen bzw. eigenen Möglichkeiten abzugleichen. (vgl. Pohler, 2012)

Die Ergebnisse werden in einem Leitfaden zusammengefasst, der im ersten Halbjahr 2018 publiziert wird.

 

Quellen

Bizzarri, Carlotta (2010): The emerging phenomenon of coworking. A redefinition of job market in networking society, in: Müller, K.; Roth, S.; ´ák, M.: Social Dimension of Innovation, Prag: CES, S. 195-206.

Brübach-Schlickum, S. (2016): Coworking als alternatives Arbeitsplatzkonzept - Fallstudie Combinat 56, in: Klaffke, M. (Hrsg.): Arbeitsplatz der Zukunft, Wiesbaden: Springer, S. 273-290

Dapp, T.F.; Ehmer, P. (2011): Kultur und Kreativwirtschaft - Wachstumspotenzial in Teilbereichen, Aktuelle Themen 508. Frankfurt am Main: Deutsche Bank Research

Engstler, M. (2017): How Creatives Work - Findings of the trend survey Creative Industries Baden-Württemberg, International Interdisziplinary Scientific Conference "Media and Media Culture - European Realities", May 4-5, 2017 in Osijek (HR), Proceedings, S. 50-53

Engstler, M; Mörgenthaler, L. (2014): Kreativwirtschaft im Ländlichen Raum - Situationsanalyse und Entwicklungsperspektiven. Stuttgart: Hochschule der Medien

Engstler, M; Mörgenthaler, L.; Nohr, H. (2016): Trendbarometer Kreativwirtschaft 2015. Reale und virtuelle Räume der Kooperation von Kreativschaffenden, München: Grin

FH Wiener Neustadt / Wieselburg (2016): Projektbericht „Motivforschung Coworking Eisenstraße", Internet: https://coworking.eisenstrasse.info/wp-content/uploads/2016/09/Projektbericht_Coworking_final_13.09.2016.pdf, Zugriff: 24.6.2017

Landtag Baden-Württemberg (2016): Bericht der Landesregierung zu einem Beschluss des Landtags; hier: Kulturwirtschaft in Baden-Württemberg, Drucksache 15 / 8110 vom 6.4.2016, Stuttgart: Landtag Baden-Württemberg (15. Wahlperiode)

Micropol Interreg (2014): Smart Work Centers in Non-Metropolitan Areas, Internet: www.micropol-interreg.eu/download.php?file=IMG/pdf/MICROPOL_Partnership_Final_Report_and_Copmparative_Analysis-2.pdf, Zugriff 7.09.2017

Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg (2016): Regionaler Clusteratlas Baden-Württemberg 2016, Stuttgart: Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg

Pohler, Nina (2012): Neue Arbeitsräume für neue Arbeitsformen: Coworking Spaces. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, 37 (1), S. 65-78.

Söndermann, M.; Backes, C.; Arndt, O.; Brünink, D. (2009): Gesamtwirtschaftliche Perspektiven der Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland - Kurzfassung. Berlin: Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie

Mitvortragende: Lutz Mörgenthaler
Vortrag auf Veranstaltung: Hochschultag Ländlicher Raum 2017: Bausteine für integrierte und nachhaltige Zukunftsstrategien Ländlicher Räume
Veranstaltungsort: Stuttgart
Datum: 24.11.2017

Weiterführende Links:
Hochschultag Ländlicher Raum: Bausteine für integrierte und nachhaltige Zukunftsstrategien


Autoren

Eingetragen von

Name:
Prof. Dr. Martin Engstler  Elektronische Visitenkarte


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