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Entwicklungen im Bereich der Produktpiraterie

 

 

 

Entwicklungen im Bereich der Produktpiraterie

von Dr. Nils Heide[1]

Viele Technologieunternehmen und Markenartikelhersteller sind mit Problemen der systematischen Produktpiraterie konfrontiert. Nachfolgend sollen die möglichen rechtlichen Maßnahmen zur Eindämmung behandelt werden. Dies gilt insbesondere auch für die Hauptherkunftsländer der Piraterieprodukte.

I.          Entwicklung der Produktpiraterie

Der Begriff der Produktpiraterie ist kein definierter Rechtsbegriff, jedoch hat er sich sowohl in der rechtswissenschaftlichen als auch in der betriebswirtschaftlichen Literatur etabliert.[2] Er bezeichnet die systematischen Nachahmung von Produktentwicklungen und sonstiger Leistungen, wobei hinsichtlich der Übernahme von Marken alternativ auch der Begriff Markenpiraterie verwendet wird.

Die Ausgestaltung variiert von der Nachahmung einzelner Produkte bis zur vollständigen Übernahme eines Unternehmensauftritts, dem sogenannten „Full Scale Cloning“. Die Auswirkungen auf Unternehmen, Konsumenten und Volkswirtschaften sind hinreichend beschrieben worden und bedürfen an dieser Stelle keiner Rekapitulierung. In den letzten Jahren zeichnen sich jedoch neue Entwicklungen in der Struktur der Produktpiraterie ab, welche zu einer neuen Dimension führen:

So lässt sich beobachten, dass zunehmend technisch komplexere Produkte von einer Nachahmung betroffen sind und dass diese deutlich schneller - häufig bereits parallel oder unmittelbar nach der Einführung des Originalproduktes - einsetzt. Diese Entwicklung ist vornehmlich auf die Verbesserung der technischen Kompetenz der Nachahmer zurückzuführen.[3] Zudem wird von diesen erkannt, dass die rechtlichen Risiken im Bereich der „klassischen“ Marken- und Produktpiraterie steigen, da diesbezüglich sowohl in den Ursprungsländern als auch in den Absatzländern ein höherer Rechtsverfolgungswille besteht[4], wohingegen viele Nachahmer hinsichtlich komplexer Technologieprodukte durchaus auf eine schwierigere Rechtverfolgung oder sogar Nachsicht der Verfolgungsbehörden setzen können.[5]

Aufgrund der Verlagerung von internationalen Forschungs- und Entwicklungszentren und der staatlichen Förderung der eigenen Forschungs- und Entwicklungsbasis hat sich in vielen Ländern, insbesondere in China, eine erhebliche Steigerung der technischen Leistungskraft ergeben, von der auch Nachahmungsunternehmen profitieren.[6] Viele Unternehmen, welche als Quelle von Nachahmungsprodukten identifiziert werden, erweisen sich als Unternehmen mit eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen, welche die Nachahmung zur Finanzierung der parallelen Entwicklung eigener neuer Produkte nutzen. Rechtlich entstehen in diesen Fällen schwierige Abgrenzungsfragen, welche z. B. das Reverse Engineering betreffen, da zwischen der rechtlich angreifbaren Analyse zum Zwecke des Nachbaus und der gewünschten Analyse zum Zweck der Weiterentwicklung nur eine schmale Grenze verläuft.[7] Die jeweilige nationale Rechtsprechung zu diesen Fragen reflektiert dabei teilweise das unterschiedliche Schutzinteresse. So erfolgt in Ländern, die sich in einem technischen Aufholwettbewerb befinden, eher eine einschränkende Auslegung des relevanten rechtlichen Schutzes.

Zudem lässt sich eine Änderung hinsichtlich der Formen der Nachahmung beobachten. So findet häufig keine identische Nachahmung mehr statt, sondern es erfolgen Modifizierungen, welche das Vorbild gleichwohl eindeutig erkennen lassen. Diese Änderungen sind weniger das Ergebnis eigener Innovationsbemühungen, sondern eher Ausdruck einer juristischen Lernfähigkeit, da erkannt wurde, dass diese im Preiswettbewerb nicht ins Gewicht fallen, jedoch die Schutzrechtsdurchsetzung des Originalherstellers erschweren.

Weiterhin erfolgt eine gewisse Abkehr von Endkonsumentenprodukten und eine Ausrichtung auf Ersatzteile und Produktkomponenten. Die Gründe liegen zum einen in den vergleichsweise hohen Margen des After-Sales-Geschäftes und zum anderen in der hohen Outsourcing-Quote in der Komponenten- und Ersatzteilproduktion.[8]

Gerade durch die verstärkte Auslagerung der Komponentenherstellung wird die Piraterieanfälligkeit deutlich verstärkt. So resultiert aus der Einbindung von Auftragsherstellern in Produktions- und Liefernetzwerke eine verstärkte Zugriffsmöglichkeit auf Produktinformationen, Herstellungsverfahren, Lieferlogistikinformationen und Sicherheitskonzepten. Die Nachahmer versuchen als Zulieferer in die Herstellungs- und Produktionskette einzudringen. Diesem ungewünschten Eindringen kann nur durch Auswahlentscheidungen im Rahmen der Beschaffung und der Distribution, durch technische Sicherungsmechanismen, Audits sowie durch die vertragliche Gestaltung vorgebeugt werden. Mit Blick auf das einleitend beschriebene verstärkte Bemühen, Nachahmungsprodukt parallel oder sogar vor dem Originalhersteller auf den Markt zu bringen, sind insbesondere Kooperations- und Outsourcing-Projekte in der Phase der Entwicklung und Herstellung als besonders sensibel zu betrachten.[9]

Die zuvor beschriebene Verschiebung führt nicht dazu, dass die typischen Probleme im Bereich der „klassischen“ Produktpiraterie verschwinden. Hier erfolgte mit der Ausweitung des Internethandels und dem stetigen Hinzutreten neuer Handelsplattformen insbesondere eine zunehmende Vermischung privater und gewerblicher Angebote. Händler von Nachahmungsprodukten agieren getarnt als Privatanbieter oder als Tauschbörsen oder Sammlerclubs. Rechtlich stellt sich in diesem Zusammenhang das Problem der Abgrenzung des Handels im geschäftlichen Verkehr von privaten Handlungen, da letztere nicht als schutzrechtsrelevante Benutzungshandlungen qualifiziert werden können.

II.         Eindämmung in den Absatzländern

Ein Mittel der Pirateriebekämpfung ist die Rechtsverfolgung in den Absatzländern. So wurden eine Vielzahl von gesetzlichen Regelungen eingeführt, welche der Produktpirateriebekämpfung dienen sollen. Eine Bewertung dieser Instrumente in der Praxis zeigt ein differenziertes Bild:

Im Rahmen der Umsetzung der Enforcement-Richtlinie wurde in den jeweiligen Schutzrechtsgesetzen ein Rückrufanspruch hinsichtlich der rechtsverletzenden Erzeugnisse normiert (siehe z. B. § 140a Abs. 3 PatG). Dieser Anspruch ist verschuldensunabhängig und erweist sich hinsichtlich vieler Produktgruppen als effizientes Druckmittel, da die hieraus resultierenden Pflichten für den Nachahmer teilweise stärkere Auswirkungen haben als der Unterlassungstenor. So muss der Verletzer seine Abnehmer zur Rückgabe der Produkte auffordern und hat ein verbindliches Angebot zur Erstattung der mit der Rückgabe verbundenen Kosten zu machen. Zudem sind grundsätzlich auch Angaben zum verletzten Schutzrecht notwendig.[10] Die Durchsetzung des Rückrufsanspruchs ist insoweit mit einer hohen Breitenwirkung in den Händler- und Beschaffungsnetzwerken verbunden, die sonst häufig unter dem Eindruck des Preiswettbewerbs nur eine geringe Sensibilität für Nachahmungsvorwürfe zeigen.

Die Wirksamkeit des Rückrufsanspruchs ist jedoch dadurch begrenzt, dass er nur auf die Entfernung aus den Vetriebskanälen gerichtet ist und mithin dann ins Leere läuft, wenn eine schnelle Veräußerung der Produkte an Endkonsumenten stattfindet. So greift der Rückrufanspruch nicht mehr, wenn die Produkte bereits an eine Privatperson ausgeliefert wurde.[11]

Eine besondere Bedeutung in der Produktpirateriebekämpfung kommt den Auskunftsansprüchen zu, da diese der Offenlegung von Liefer- und Herstellungsquellen dienen. Der allgemeine Anspruch auf Auskunfts- und Rechnungslegung ist gewohnheitsrechtlich anerkannt und wird aus § 242 BGB abgeleitet.[12] Dieser Anspruch zielt auf die Ermittlung der Informationen, welche zur Bezifferung des Schadensersatzes notwendig sind und erfasst nach § 259 Abs. 1 BGB eine Rechnungslegung über Herstellmengen, Absatzmengen, Verkaufserlöse, Werbeformen sowie über die für die Bestimmung des Verletzergewinns erforderlichen Positionen. Davon zu unterscheiden ist der spezielle Auskunftsanspruch, welcher insbesondere auf die Ermittlung der Herkunft und der Vertriebswege der schutzrechtsverletzenden Produkte zielt (siehe z. B. § 140b PatG und § 19 MarkenG). Dieser Anspruch wurde durch das Produktpirateriegesetz eingeführt[13] und ist im Rahmen der Umsetzung der Enforcement-Richtlinie für alle Schutzrechtsformen ausgeweitet worden.[14]

In der praktischen Handhabung dieser Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche steht der Schutzrechtsinhaber jedoch vor dem Problem der Verifizierung der Richtigkeit und Vollständigkeit der bereitgestellten Informationen, da die Bedeutung der auf diesem Wege erlangten Informationen letztlich von der Korrektheit der Angaben abhängig ist. Zwar kann der Gläubiger des Rechnungslegungsanspruchs ein Zwangsmittelverfahren nach § 888 ZPO beginnen, jedoch ergeben sich die in diesem Verfahren vorzutragenden Zweifel hinsichtlich der Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben im Regelfall nur aus Widersprüchlichkeiten hinsichtlich der vorgelegten Dokumente oder aus eigenen parallelen Ermittlungsmaßnahmen. Der Auskunftsschuldner geht ein strafrechtliches Risiko ein, wenn er gezielt falsche Angaben macht[15] und sieht sich zudem zivilrechtlich Sanktionen ausgesetzt, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig eine falsche oder unvollständige Auskunft erteilt (siehe z. B. § 140b Abs. 5 PatG), jedoch ist das Entdeckungsrisiko begrenzt, wenn die Klägerseite keine Möglichkeit hat, eine Transparenz herbeizuführen. Der Anspruchsgläubiger sieht sich mit der Aufgabe einer detektivischen Kleinarbeit und Plausibilitätsprüfung konfrontiert. Eine deutliche Verbesserung der Position des Auskunftsgläubigers tritt ein, wenn dieser durch einen flankierenden Anspruch auf Vorlage von Belegen (Rechnungsunterlagen, Lieferscheine etc.) in die Lage versetzt wird, die Angaben zu überprüfen.

Zu den elementaren Instrumenten der Produktpirateriebekämpfung gehört die Zollüberwachung, welche sich für die meisten Unternehmen zu einem alltäglichen Handwerk entwickelt hat. Dabei wird jedoch häufig vernachlässigt, dass die bloße Einrichtung einer Überwachung nur in den seltensten Fällen zu einem Erfolg führt, sondern die eigentliche Anforderung in der Lenkung der Zollüberwachungsbehörden durch die Versorgung mit Informationen über Transportwege, Abnehmer und Händleradressen liegt. Ein Großteil der Zollüberwachungsverfahren führt vermutlich eine Scheinexistenz, da auch bei größtem Engagement der Zollbehörden Auffunde eher Zufallstreffer bleiben. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der einleitend beschriebenen Qualitätssteigerungen und der zunehmenden technischen Komplexität von Nachahmungsprodukten, welche eine Identifizierung innerhalb der im normalen Warenumschlag zur Verfügung stehenden Zeit kaum zulassen. Zwar wird man die vorhandenen gesetzlichen Regelungen und auch den Einsatz der Zollüberwachungsbehörden positiv bewerten können, jedoch bleibt ein Effizienzdefizit, wenn die Einfuhrkontrolle nicht durch die stetige Bereitstellung von Informationen durch die beteiligten Unternehmen gesteuert wird.[16]

In Deutschland wird seit vielen Jahren eine Diskussion zur Angemessenheit der Schadensersatzregelung geführt. In Deutschland kann der Schutzrechtsinhaber verlangen, dass der Verletzer (1) eine angemessene Lizenzgebühr für die Verletzungshandlung zahlt (Lizenzanalogiemethode), (2) den entgangenen Gewinn ersetzt oder (3) den durch die Verletzungshandlung erlangten Gewinn herausgibt.[17] Zu den etablierten Grundsätzen des Schadensersatzrechts im gewerblichen Rechtschutz gehört, dass der Schutzrechtsinhaber die freie Wahl zwischen den Berechnungsmethoden bis zur Erfüllung oder rechtskräftigen Zuerkennung des Anspruchs hat[18], jedoch gilt gleichzeitig, dass die verschiedenen Berechnungsmethoden nicht miteinander vermischt werden dürfen.[19] In der Praxis wurde die Schadensersatzbestimmung sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich über viele Jahre durch die Lizenzanalogiemethode dominiert, bis der I. Zivilsenat des BGH in seinem „Gemeinkostenanteil“-Urteil feststellte, dass Gemeinkosten nur abgezogen werden dürfen, wenn sie ausnahmsweise der Herstellung und dem Vertrieb der Verletzungsgegenstände unmittelbar zugerechnet werden können.[20] Diese Entscheidung hat die Verletzergewinnmethode zu der attraktivsten Schadensersatzberechnungsmethode gemacht. Insbesondere im Bereich der Produktpirateriebekämpfung besteht jedoch nach wie vor eine Unzufriedenheit über die Schadensersatzbestimmungen, da die sich aus den Berechnungsmethoden ergebenden Schadensersatzhöhen weder als hinreichende Schadenskompensation noch als Abschreckung betrachtet werden. Auf eine solche Abschreckungswirkung zielt die im US-Recht vorgesehene Möglichkeit einer Verdreifachung des Schadensersatzes im Falle einer vorsätzlichen Schutzrechtsverletzung.[21] Gegen die Möglichkeit einer Verdoppelung des sich aus der Lizenzanalogie ergebenden Schadensbetrages beziehungsweise eines sonstigen Sanktionsaufschlages wurde eingewandt, dass das gesamte deutsche Schadensersatzrecht und damit auch das Schadensersatzrecht des gewerblichen Rechtschutzes und des Urheberrechts durch den kompensationsrechtlichen Ansatz geprägt ist.[22] Sanktionserwägungen sind im deutschen Schadensersatzrecht fremde Elemente und dem Strafrecht zuzuordnen.[23] Es stellt sich jedoch die Frage, ob aus diesem Hinweis auf das Kompensationsprinzip im deutschen Schadensersatzrecht folgt, dass die Schadensersatzberechnungsmethoden in der aktuell verwendeten Form quasi sakrosankt sind oder ob nicht auch unter Anerkennung dieser Prinzipien eine differenziertere Berechnung der Schadenshöhe möglich ist, welche den Charakter der jeweiligen Nachahmungshandlung stärker reflektiert. Zudem zeigt auch die Diskussion in Folge des „Gemeinkostenanteil“-Urteils des BGH, dass eine kritische Analyse der Einzelelemente der etablierten Berechnungsform zu wesentlichen Änderungen in der Schadensersatzkalkulation führen kann.[24] Weiterhin bestehen auch Zweifel, ob die drei etablierten Berechnungsmethoden allein an den Ersatz der tatsächlich entstandenen Einbußen anknüpfen, das heißt die verwendeten Berechnungsmethoden Ausdruck der reinen kompensationsrechtlichen Lehre sind.[25] Ein wesentliches Defizit der deutschen Schadensersatzpraxis ist die geringe Differenzierung zwischen den Fällen der vorsätzlichen und systematischen Nachahmung, wie sie in Produktpirateriefällen auftritt, und den fahrlässigen Schutzrechtrechtsverletzungen. Ein Produktpirat kann nach dem deutschen Recht eine gezielte Risikokalkulation vornehmen, bei dem die hohen Margen der Nachahmung mit dem Risiko einer vollen Gewinnherausgabe in den Fällen einer vollständigen Durchsetzung der Verletzergewinnmethode in Abwägung zu bringen sind. Gleichzeitig wirkt sich die Schadensersatzpraxis insbesondere im Patent- und Gebrauchsmusterrecht teilweise als innovationshemmend aus, da Unternehmen, die erfinderische Abwandlung oder sonstige Alternativlösungen entwickelt haben, auf der Schadensersatzebene faktisch mit den gleichen Schadensersatzrisiken zu rechnen haben wie ein Produktpirat. Auch innerhalb der klassischen Dreiteilungslehre wäre es möglich, diese Unterschiede zu reflektieren. So knüpft beispielsweise die Lizenzanalogiemethode daran an, was vernünftige Vertragspartner beim Abschluss eines fiktiven Lizenzvertrages vereinbart hätten.[26] Dabei würde es im Widerspruch zum Prinzip der Schadenskompensation stehen, einen pauschalen Lizenzsatzaufschlag vorzunehmen[27], jedoch hat für einen Verletzter, der eine gezielte Nachahmung vornimmt, das „lizenzierte“ Schutzrecht eine höhere Werthaltigkeit als für denjenigen, der im Rahmen einer Weiterentwicklung in den Grenzbereich des äquivalenten Schutzes des verletzten Schutzrechtes hineingeraten ist. Auch im Rahmen der Verletzergewinnmethode ist der Kausalanteil geeignet, diesen Unterschied zu reflektieren. Letztlich bleiben jedoch auch die vorgenannten Gesichtspunkte nur Hilfserwägungen. Vielmehr ist es sinnvoll, stärker zwischen der vorsätzlichen und fahrlässigen Schutzrechtsverletzung zu differenzieren und die insbesondere im Produktpirateriebereich dominierende vorsätzliche Schutzrechtsverletzung mit einer schärferen Schadensersatzregelung zu verknüpfen. Dabei geht es nicht um die in dem einleitend diskutierten Richtlinienentwurf enthaltene Pauschalisierung (doppelte Lizenzgebühr), sondern um eine Berücksichtigung des mit der vorsätzlichen Schutzrechtsverletzung verbundenen gezielten Eingriffs in die Position des Schutzrechtsinhabers. In konsequenter Fortsetzung wäre bei der Schadensbemessung zu erwägen, neben dem kompensatorischen Ansatz auch den Gesichtspunkt der Prävention einfließen zu lassen.[28]

Eine besondere Bedeutung in der Produktpirateriebekämpfung kommt dem Vernichtungsanspruch zu, da dieser zu einer physischen Beseitigung des Verletzungsgegenstandes führt und damit endgültig ein weiterer Vertrieb der Produkte verhindert wird. Der Vernichtungsanspruch ist in den Schutzrechtsgesetzen als selbständiger Anspruch normiert (siehe z. B. § 140a PatG, § 18 Abs. 1 MarkenG). Zu den wesentlichen Problemen der Durchsetzung eines Vernichtungsanspruch im Produktpirateriebereich gehört, dass der Verletzer, der sich mit dem Risiko eines Vernichtungsanspruchs konfrontiert sieht, die Verletzungsgegenstände in ein Lager ins Ausland verbringt, da der Vernichtungsanspruch nur bezüglich Verletzungsgegenstände durchgesetzt werden kann, die sich im Inland befinden.[29] Dies kann teilweise dadurch verhindert werden, dass im Wege der einstweiligen Verfügung ein Sequestrationsanspruch durchgesetzt wird, das heißt der Verletzer veranlasst wird, die Gegenstände an einen Gerichtsvollzieher zum Zwecke der Aufbewahrung bis zur endgültigen Entscheidung über die Vernichtung herauszugeben. Wenn die Sicherung über eine einstweilige Verfügung nicht gelingt beziehungsweise die Verletzungsgegenstände erst nach dem Urteil ins Ausland verbracht werden, läuft die Vollstreckung häufig ins Leere.[30] Ein Antrag nach § 887 ZPO scheitert am Rechtsschutzbedürfnis, da die Vernichtung im Inland unmöglich geworden ist. Die eigentliche Ursache für das zuvor beschriebene Problem liegt darin, dass dem Verletzer ein Wahlrecht zusteht, die Verletzungsprodukte entweder selbst zu vernichten oder an einen Treuhänder zum Zwecke der Vernichtung herauszugeben.[31] Diese Möglichkeit muss bereits im Urteil dahingehend eingeschränkt werden, dass der Beklagte verpflichtet wird, die Verletzungsgegenstände zum Zwecke der Vernichtung auf Kosten des Beklagten an einen Treuhänder herauszugeben.[32] Voraussetzung dieser Einschränkung des Wahlrechts ist jedoch, dass im Erkenntnisverfahren vorgetragen wird, dass wesentliche Bedenken hinsichtlich der Bereitschaft des Beklagten zur Vernichtung bestehen und das Risiko gegeben ist, dass die Produkte ins Ausland gebracht werden.[33] Im Rahmen der Umsetzung der Enforcement-Richtlinien wurde versäumt, den Wortlaut der Vernichtungsregelungen so zu fassen, dass das Wahlrecht eingeschränkt wird.

III.        Rechtsverfolgung in den Herstellungsländern – Auswirkungen der Gesetzesnovellen in China

Im Rahmen der Produktpirateriebekämpfung kommt China als Hauptquelle von Nachahmungsprodukten eine besondere Bedeutung zu. Dies hat man auch in China erkannt und die hohe Frequenz gesetzgeberischer Maßnahmen im Schutzrechtssektor zeigt das intensive Bemühen des chinesischen Staates zur Umsetzung internationaler Standards.

In China wird aktuell die 4. Patentrechtsnovelle diskutiert, die vermutlich 2020 in Kraft treten wird.[34] Diese bringt nach der aktuellen Planung nicht nur eine Erhöhung des gesetzlichen Schadensersatzanspruches, sondern auch die Möglichkeit einer Vervielfachung des Schadensbetrages zur Abschreckung. Der Entwurf war Gegenstand verschiedener Anhörungen und Stellungnahmen.

In China bestimmt sich der Schadensersatz nach dem entgangenen Gewinn, dem Verletzergewinn oder der Lizenzanalogie. Darüber hinaus ist – für den Fall, dass die vorangegangene Berechnungsmethoden nicht zu einem klaren Ergebnis führen – die Möglichkeit eines vom Richter zu bestimmenden Schadensersatzes vorgesehen. In der Praxis der Rechtsdurchsetzung kommt dieser auf Grundlage richterlichen Ermessens bestimmte „festgelegte Schadensersatz“ häufig zum Einsatz. Dies gilt insbesondere dann, wenn die vorgetragenen Informationen aus Sicht des Gerichtes keine verlässliche Grundlage zur Bestimmung der Schadenshöhe nach den weiteren Methoden bilden. Die in China in der Vergangenheit ausgeurteilten Schadensersatzbeträge wurden – von besonderen Ausnahmefällen abgesehen[35] – als eher niedrig qualifiziert.[36] Grundsätzlich war weder im chinesischen Patentgesetz noch in der Rechtsprechung des Obersten Chinesischen Volksgerichtes bislang ein Schadensersatz mit Strafcharakter anerkannt, wobei die vom Obersten Volksgericht erlassenen Richtlinien bereits in der Vergangenheit die Möglichkeit vorsah, den Schadensersatz nach eigenem Ermessen bis zum dreifachen der Lizenzgebühr zu erhöhen, wenn festgestellt wird, „dass die Verletzung vorsätzlich begangenen wurde, dass besondere Heimtücke vorlag oder dass die Verletzung zum wiederholten Male begangen wurde“.[37] Für die jetzt geplante 4. Patentrechttsnovelle ist jetzt eine gesetzliche Verankerung hierzu vorgesehen.  

Das chinesische System ist in der Verfolgung von Schutzrechtsverletzungen durch ein duales System gekennzeichnet, da Schutzrechtsverletzungen zum einen vor dem Zivilgericht und zum anderen vor speziellen Verwaltungsbehörden geltend gemacht werden können.[38] Das System der Durchsetzung vor den Verwaltungsbehörden erweist sich insbesondere in Marken- und Produktpirateriefällen als effizient, wohingegen für komplexere Patentverletzungsstreitigkeiten zumeist der Weg über die Zivilgerichte präferiert wird. Die Verwaltungsbehörden verfügen über weitgehende Befugnisse hinsichtlich der Beweisermittlung und Beweissicherung. Die Sanktionsinstrumente und Ermittlungsbefugnisse dieser Verwaltungsbehörden sollen ausgeweitet werden.

Mit der Umsetzung der aktuellen Gesetzesnovellierungen im Patent- und Markenrecht ergeben sich weitere Verbesserungen der Schutzrechtsdurchsetzung in China. Im Übrigen dokumentiert die schnelle Überarbeitung der Gesetze die Bereitschaft der chinesischen Regierung auf Vorwürfe zu reagieren. Diese dürfte nicht zuletzt vor dem Hintergrund des sich ausweitenden Handelskrieges mit den USA erfolgen, da dort der Schutz des Geistigen Eigentums als wesentlicher Kritikpunkt herangezogen wurde.

IV.        Fazit

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich der Organisationsgrad der Produktpiraten erhöht und eine zunehmen Ausrichtung auf komplexe High-Tech Produkte erfolgt. Es erfolgt zudem eine gezielte Analyse und Ausschöpfung rechtlicher Lücken. Dieser Entwicklung ist auch im Rahmen der Rechtsverfolgung Rechnung zu tragen.

Zu den Grundvoraussetzungen der Produktpirateriebekämpfung gehört eine internationale Harmonisierung der Maßstäbe hinsichtlich der Beurteilung der rechtlichen Schutzfähigkeit und der Durchsetzungsinstrumente.



[1] Rechtsanwalt, Lehrbeauftragter für Patentrecht an der Hochschule der Medien, Stuttgart

[2]Zur Verwendung des Begriffs in den Medien siehe Handelsblatt, Artikel vom 6. Juni 2019, Produktpiraterie – Die Fälschermafia richtet Milliardenschäden an, https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/produktpiraterie-die-faelschermafia-richtet-milliardenschaeden-an/24422268.html?ticket=ST-4772733-h2tqokgzcZDXNuelOULA-ap6; zur Einbeziehung in der rechtswissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Literatur siehe: Chaudhry/Zimmerman, The Economics of Counterfeit Trade, 2009; Gaul, Die Durchsetzung markenrechtlicher Ansprüche gegenüber Produktpiraten, 2003; Schuhmacher, Die Markenartikelpiraterie, 2005; Wildemann/Ann/Broy/Günthner/Lindemann, Plagiatsschutz – Handlungsspielräume der produzierenden Industrie gegen Produktpiraterie, 2001; Thaler, Die rechtliche Abwehr von Marken- und Produktpiraterie, 2009; Staake/Fleisch, Countering Counterfeit Trade, 2008; Milbradt, Fighting Product Piracy, 2009; von Welser/Gonzales, Marken- und Produktpiraterie, 2007; Fuchs (Hrsg.), Piraten, Fälscher und Kopierer, 2006; Sitte, Schutzmaßnahmen gegen chinesische Produktpiraterie und Markenpiraterie, 2006; Fussan, Managementmaßnahmen gegen Produktpiraterie und Industriespionage, 2010; Bachmann, Produktpiraterie als unternehmerische Herausforderung: Eine Untersuchung des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus in Asien, 2007; Ann, in: FS Bartenbach, 2005, S. 1 ff.;

[3] Dabei ist nicht allein die technische Lernfähigkeit maßgeblich, sondern es erfolgen verstärkt Investitionen in die technische Infrastruktur. Die finanziellen Mittel stammen aus den hohen Gewinnmargen des Produktpirateriegeschäftes selbst und aus dem verstärkten Engagement der organisierten Kriminalität, welche die Produktpiraterie als vergleichsweise saubere Alternative entdeckt hat.

[4] So sieht sich China seit Jahren einem verstärkten internationalen Druck ausgesetzt, auf den man vor allem durch eine stärkere Verfolgung und Sanktionierung in offenkundigen Produktpirateriefällen reagiert. Zum internationalen Druck auf China zur Umsetzung der TRIPS Standards siehe insbesondere auch Ganea, in: Prinz zu Waldeck und Pyrmont/Adelmann/Brauneis/Drexl/Nack (Hrsg.), Patents and Technological Progress in a Globalized World, 2009, S. 380, 382 ff.; Neuwirth, GRUR Int. 2009, 367, 368 ff.

[5] Im Bereich der von staatlicher Seite als Schlüsseltechnologien identifizierten Bereiche ist die Bereitschaft von staatlicher Seite, Schutzrechtspositionen zu begrenzen, um Unternehmen größere „Freiheiten“ einzuräumen, deutlich höher. Zu diesem Gesichtspunkt in der chinesischen Patentpolitik siehe insbesondere Mertha, The Politics of Piracy, 2007, 84 ff.; zur Lenkungswirkung der Patentpraxis siehe auch die Untersuchung von Liegsalz, The Economics of Intellectual Property in China, 2010, S. 104 ff.

[6] Yip, George/McKern, Bruce, China’s new strategic advantage – from imitation to innovation, 2016, 2 ff.; Sieren, Zukunft? China!, 2018, 59 ff. und 105 ff.; Winkler/Wang, Made in China, 2007, 87 ff.; Dimitrov, Piracy and the State, 2009, S. 249 ff.; zur technologischen Entwicklung siehe insbesondere Lin/Zhang, in: Thomson/Sigurdson, China`s Science and Technology Sector and the Forces of Globalisation, 2008, S. 47 ff.

[7] Ohly differenziert hier pointiert zwischen „Innovative Analyst“ und „Copycat Analyst“, siehe Ohly in: Prinz zu Waldeck und Pyrmont/Adelmann/Brauneis/Drexl/Nack (Hrsg.), Patents and Technological Progress in a Globalized World, 2009, 535, 537.

 



Autoren

Name:
Prof. Dr. Nils Heide  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Patentrecht, Forschungs- und Entwicklungskooperationen, Lizenzen, Know-How- und Softwareschutz, Rechtsfragen der Künstlichen Intelligenz, Open Innovation Modelle, IP Rechte in China
Funktion:
Honorarprofessor
Lehrgebiet:
Patentrecht, IP Management, KI Recht
Studiengang:
Verpackungstechnik (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Druck und Medien
Raum:
-, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Homepage:
http://www.gleiss-grosse.com/heide/
Nils Heide

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