Langeweile
Wenn Instagram durchgescrollt ist, Netflix durchgeschaut und auch das letzte Buch gelesen ist, dann stellt sich ein Gefühl ein: die Langeweile. Es gibt nichts zu tun und die Situation fühlt sich ziellos an. Wie entkommt man diesem unangenehmen Gefühl? "Langeweile gilt gemeinhin als eher negativer Zustand, den viele Menschen versuchen, beispielsweise durch Mediennutzung, zu überbrücken", erklärt Dr. Roland Mangold, Professor im Studiengang Informationsdesign an der Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM). Laut Experten geschieht das insbesondere in Situationen, in denen wir uns unfähig, also über- oder unterfordert fühlen oder nicht gewillt sind, einer Aufgabe nachzugehen.
Langeweile ist purer Stress
Beispiel Vorlesung: Sie will und will einfach nicht vergehen, die Inhalte sind bekannt oder werden unverständlich vermittelt. Dies kann ein vorübergehender Eindruck sein. Wenn dies allerdings ein Dauerzustand ist, reagiert der Körper mit Stress. Das Stresshormon Kortisol wird ausgeschüttet, Puls und Blutdruck erhöhen sich. Hinzu kommt, dass das Belohnungszentrum des Gehirns weniger aktiviert wird. Auf Dauer entsteht so ein Defizit des Glückshormons Dopamin.
Und das wiederum kann vielfältige Folgen haben. Gelangweilte erleiden häufiger einen Herzinfarkt oder sterben früher als solche, die keine Langeweile empfinden. Auch psychisch kann Langeweile ein enormer Stressfaktor sein und wird mittlerweile mit vielen Erkrankungen in Verbindung gebracht. Einige von ihnen sind Alkoholismus, Drogenkonsum, Esssucht oder Depressionen. Bei Gelangweilten sinkt zudem die geistige Resilienz, also die Fähigkeit, schwierige psychische Situationen unbeschadet zu überstehen. Es kann ein Teufelskreis aus Frust und Langeweile beginnen.
Ruhe und Entspannung
Auch wenn diese innere Unruhe kein schönes Gefühl ist, hat Langeweile doch ihre Vorteile. Wenn man sich ihr hingibt, wird sie zu etwas Besonderem, das in der heutigen Zeit kaum jemand zulassen möchte oder sich erlauben kann. Gibt man sich ihr jedoch bewusst hin, kann eine Phase der Langeweile, also des gewollten Ausschlusses von üblichen Ablenkungen (wie ewa dem Smartphone) und dem gleichzeitigen Zulassen innerer Gedanken, wahre Wunder bewirken.
Legt man regelmäßig Pausen ein und kommt zur Ruhe, kann sich der Körper erholen. Das ist essenziell für die geistige und körperliche Gesundheit. Simultan verbessern sich dadurch beispielsweise die Schlafqualität, Konzentrationsfähigkeit und geistige Resilienz. Der Körper und der Geist entspannen besser.
Gedankenwandern
Doch wer nun denkt, dass die Hirnaktivität bei Langeweile stark abnimmt, irrt sich gewaltig. Denn das Gehirn kann nicht abschalten, sonst wäre es tot. Viel eher tritt ein anderes Phänomen ein, das so genannte "Gedankenwandern". Dabei treibt das Gehirn regelrecht, anstatt fokussiert und aufgabengerichtet zu arbeiten. Auch wenn aktiv keine Langeweile im Alltag herrscht, kennen viele das Phänomen bestimmt von routinierten Aufgaben wie Abspülen oder Bügeln. Denn bei automatisierten Vorgängen können wir uns von Reizen lösen und uns Gedanken und Gefühlen zuwenden. Dieses Phänomen beschreibt das reizunabhängige Denken, auch "stimulus independent thought", kurz SIT, genannt.
Psychologen schätzen, dass circa die Hälfte der Wachzeit mit den Tagträumen verbracht wird. "Das Gehirn aktiviert dabei ein Netzwerk von Arealen, das als 'default mode network' (DMN) oder Ruhemodusnetzwerk bezeichnet wird", beschreibt das Magazin Spektrum. Das kann neben Entspannung auch zur erhöhten Kreativität führen. Allerdings, warnt Prof. Dr. Mangold, gilt es etwas zu beachten: Der Erziehungswissenschaftler Hogward Gardner hätte beobachtet, dass das Smartphone als Langeweile-Killer bei Vielnutzern dazu führen könne, weniger kreativ zu sein.
Tagträumen schafft Klarheit
Das Tagträumen hat allerdings noch andere Vorzüge: Es ermöglicht die Chance, in sich hineinzuhören. Das, was sonst möglicherweise verdrängt wird, kommt nun an die Oberfläche. Fragen zum eigenen Glück, zur Partnerschaft oder zum Job sind nur einige mögliche Themen. Es hat also den Vorteil zu sehen, ob das Leben den eigenen Wünschen und Zielen entsprechend verläuft. Langeweile schafft damit auch eine produktive Klarheit, die im Alltag oft untergeht.
Wer sich also regelmäßig langweilt, hat eher die Chance, sein Leben den eigenen Zielen und Anforderungen nach zu gestalten und notwendige Veränderungen leichter aufzuspüren und umzusetzen. Das sollte wie erwähnt, allerdings bewusst getan werden, damit Langeweile nicht zum Stressfaktor wird. Nicht zuletzt spielen bei dieser Unterscheidung persönliche Einstellungen, wie etwa der eigene Arbeitsethos oder die individuelle Motivation, eine Rolle.
Quellen:
Gardner, H., & Davis, K. (2013). The app generation: How today's youth navigate identity, intimacy, and imagination in a digital world. New Haven: Yale University Press
https://www.fitforfun.de/gesundheit/langeweile-dolce-far-niente-warum-langeweile-gesund-und-produktiv-sein-kein_aid_14097.html
https://www.welt.de/kultur/article198986297/Lob-der-Langeweile-Warum-das-Nichtstun-so-wichtig-ist.html https://www.spektrum.de/news/wie-entsteht-langeweile-und-warum/1400676
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2012/06/Psychologie-Langeweile-Ablenkung/komplettansicht
https://www.stern.de/neon/herz/wir-haben-die-langeweile-verlernt---und-das-ist-verdammt-schlecht-fuer-unser-gehirn-7845356.html
https://www.welt.de/icon/partnerschaft/article174946686/Langeweile-Das-groesste-Geschenk-das-wir-uns-machen-koennen.html
https://www.deutschlandfunk.de/neurologie-das-geheimnis-der-langeweile.740.de.html?dram:article_id=375889
https://www.gesundheitstrends.com/a/schlaf-und-psyche/warum-langeweile-gut-ist-39325
https://www.spektrum.de/news/das-gehirn-beim-tagtraeumen/1401860
https://www.psychologie-heute.de/leben/39605-der-tristesse-entgehen.html#page
https://psychologie-heute.info/wenn-langeweile-in-stress-ausartet/
https://www.zeit.de/karriere/beruf/2011-12/gastbeitrag-boreout
https://www.zeit.de/karriere/beruf/2013-11/langeweile-stress-kreativitaet
https://www.wiwo.de/erfolg/trends/psychologie-der-sinn-der-langeweile/9025334.html
https://unsplash.com/photos/md7cCWYVq9U
https://unsplash.com/photos/y8OPPvo_5mU
Julia Lindner