Diskussion
Auf der Grundlage eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs müssen alle öffentlichen Stellen in Baden-Württemberg ihre Kooperation mit den Social Media-Monopolisten auf den Prüfstand stellen - so die Auffassung des LfDI Baden-Württemberg. Sollten die Netzwerke sich weigern, die nötigen Grundlagen dafür zu schaffen, dass sich europäische User auf rechtssicherem Boden bewegen, wenn sie bei Twitter und Co. unterwegs sind, bleibt nur der Exit. Dennoch tun sich viele öffentliche Einrichtungen schwer, auf die reichweitenstarken Social-Media-Kanäle zu verzichten. Ob Polizei, Landesregierung oder Hochschulen - die Kommunikation über Facebook, Twitter oder Instagram ist für viele nicht mehr wegzudenken.
Die vom LfDI und dem Institut für Digitale Ethik (IDE) der HdM eingeladenen Expertinnen und Experten diskutierten für alle sicht- und hörbar über das Videokonferenzsystem "Big Blue Button" der Hochschule. Zahlreiche Studierende sowie externe Interessierte beteiligten sich an der Runde und brachten ihre Fragen im Chat ein. Die Moderation der Veranstaltung übernahmen HdM-Professor Dr. Tobias Keber sowie Clarissa Henning vom LfDI Baden-Württemberg.
Diskussion der Expertinnen und Experten
Nach Auffassung des Landesdatenschutzbeauftragten Dr. Stefan Brink müssen öffentliche Stellen verantwortungsvoll prüfen, ob ihre Nutzung sozialer Medien dem aktuellen EU-Recht noch gerecht werde. Das Reichweitenargument jedenfalls dürfe nicht den Datenschutz schlagen, so Brink. Alexander Kozel, Referent des Städtetags Baden-Württemberg, warf ein, dass Städte durch die Social-Media-Kanäle "das Ohr am Volk hätten". Die Schwelle, Behörden zu kontaktieren, sei durch diese Angebote deutlich niedriger. Anfragen und Anmerkungen würden weit häufiger über die Social-Media Plattformen gestellt und die Kommunen könnten schneller auf die Eingaben der Bürgerinnen und Bürger reagieren. Ähnlich sah es auch Jana Höffner, Leiterin des Referats Online-Kommunikation im Staatsministerium Baden-Württemberg: "Ich kann es mir gar nicht vorstellen, wie es zu dieser Zeit ohne die Kanäle wäre." Das Staatsministerium beantworte wöchentlich mehr als 1.000 Anfragen zu den Corona-Verordnungen. Eine Anfragenflut, der sie über die Webseite oder per E-Mail nur schwer Herr werden könnten. Julia Wandt, Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation sowie Pressesprecherin und Leiterin der Stabsstelle Kommunikation der Universität Konstanz, erklärte, dass Hochschulen ihre Zielgruppe am besten über die sozialen Medien erreichten und die Studierenden die Hochschulen auf den Plattformen auch erwarten. Wandt fügte hinzu, dass Studieninteressierte oder auch Studierende Hochschulen ohne Social-Media-Kanäle schlicht ignorieren würden, da sie Webseiten weniger Aufmerksamkeit als den sozialen Kanälen schenkten. Auch könnten fremde Personen rechtswidrig Kanäle für die Hochschulen anlegen, wenn diese nicht selbst Präsenzen anlegten. Dr. Carsten Ulbricht, Rechtsanwalt mit dem Fachgebiet Internet und digitale Transformation, stufte den Ausstieg öffentlicher Stellen aus Twitter & Co (Twexit) als realitätsfern ein. Seiner Ansicht nach sei es vorzugswürdig, mit den Plattformbetreibern in Kontakt zu treten und sie so weit unter Druck zu setzen, dass sie sich an die Datenschutz-Grundverordnung halten.
Anmerkungen aus dem Außenkreis
Auch im Chat wurde rege diskutiert. Rebecca Beiter von der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg merkte an, dass die Kanäle der Behörden in den sozialen Medien maßgeblich zur Meinungsbildung in der Demokratie beitrügen. Gegen Ende der Diskussion wurde der Vorschlag eingebracht, ob nicht durch die öffentlichen Stellen selbst aufgesetzte und betriebene Online-Plattformen mit Beteiligungsfunktion eine datenschutzkonformere Alternative geschaffen werden könnte.
Die Aufzeichnung der Diskussion wird auf der Seite des LfDI Baden-Württemberg frei zugänglich (https://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/oeffentlichkeitsarbeit-ohne-likes-tweets-und-follower/) bereitgestellt, um dort eine weiterführende Diskussion zu dem Thema zu ermöglichen. Dazu wird eine moderierte Kommentarfunktion freigeschaltet.
VERÖFFENTLICHT AM
25. Juni 2020
KONTAKT
Clarissa HenningLandesbeauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI) Baden-Württemberg
