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Rolf Coulanges aus Stuttgart schreibt:

Cine digital

Mit der Entwicklung der professionellen Videotechnik und der Produktion digitaler Kameras mit programmierbarer Verarbeitung des Bildes sind in den letzten Jahren neue Möglichkeiten für den Spiel- und Dokumentarfilm entstanden: zum einen die unmittelbare Beeinflussung der fotografischen Gestaltung des Bildes schon bei der Aufnahme, zum anderen stark erweiterte Möglichkeiten bei der Nachbearbeitung des Bildes. Dies könnte den Eindruck erwecken, die digitale Technik habe die künstlerischen Prozesse revolutioniert und völlig neue Möglichkeiten bei der Herstellung von Filmen geschaffen. Richtig ist daran, dass Filme, die ohne besondere Kameraeinstellungen für die Gestaltung des Bildes auskommen, mit digitaler Videotechnik im DV- oder HDV-Format nun weitaus billiger hergestellt werden können – dafür müssen sie allerdings auf ein Bild in der für die Leinwand erforderlichen Auflösung verzichten.

Andererseits wird in der gegenwärtigen Entwicklung immer deutlicher, dass die professionelle Digitaltechnik, wenn sie in ihren neuen Möglichkeiten künstlerisch genutzt wird, die Kosten der Produktion auf Filmmaterial rasch einholen kann. Die digitale Kinematographie muss hier deutlich von der semiprofessionellen HDV-Technik unterschieden werden – beide bewegen sich in unterschiedlichen Dimensionen, sowohl technisch wie in bezug auf die Kosten der Produktion. Die professionelle digitale Technik wird gegenwärtig zu einem integrierten Bestandteil der Filmherstellung für das Kino entwickelt, und ihr steht eine große Zukunft bei der Bild- und Farbgestaltung, den Special Effects und der Distribution der Filme bevor. Billiger wird sie die Filmproduktionen allerdings nicht machen – da sind sich alle Experten einig, und dies zeigt auch die gegenwärtige Entwicklung. Diese Technik kann den Film eindeutig kreativer machen – was für das Kino, das sich vom Fernsehen deutlich unterscheiden muss, wenn es Publikum haben will, durchaus Sinn macht.

Als wichtiger Nebeneffekt dieser technischen Entwicklung sind auch kleine, leichte und weitgehend automatisierte Digitalkameras entstanden, die den Dreh eines Films auf Video ohne weitergehende Grundlagenkenntnisse in der Fotografie ermöglichen und dabei zu guten technischen Ergebnissen kommen, solange keine außergewöhnlichen Anforderungen an die Bildgestaltung gestellt werden. Mit diesen Einschränkungen ist es heute für viele Leute möglich, auch ohne eine grundlegende Kameraausbildung Spiel- und Dokumentarfilme zu drehen. Das Resultat dieser Entwicklung ist aber auch, dass eine große Zahl unausgebildeter Kameraleute in dieses Berufsfeld drängt. Die Qualität solcher Filme hängt jetzt nicht mehr von einer umfassenden technischen Ausbildung des Kameramannes ab, sondern allein von seinen bild- und lichtgestaltenden Fähigkeiten und Erfahrungen. Dabei werden wegen des semiprofessionellen Formates von vornherein reduzierte technische Erwartungen gesetzt, und vom gestalterischen Rahmen dieser Technik wird daher auch nicht allzu viel erwartet werden dürfen. Doch auch ohne große Ansprüche an die Fotografie lassen sich diese Filme gut ans Fernsehen verkaufen, und mit dieser Technik hat der Produzent die hohen Kosten einer Produktion auf Film oder professionellem HD eingespart.

In der heutigen Situation ist es daher wichtig, festzustellen: Digital ist nicht gleich Digital. Als Folge dieser gegenläufigen Entwicklungen der digitalen Videotechnik hat sich seit einiger Zeit eine neue Aufteilung in der Qualifikation von Kameraleuten entwickelt: Es geht schon lange nicht mehr um die Unterscheidung zwischen Film und Video als Medium und der jeweiligen spezialisierten Ausbildung des Directors of Photography, sondern es geht heute um die Fähigkeit zur Gestaltung der Fotografie mithilfe der neuen technischen Systeme, aber im Sinne eines erweiterten fotografischen Bildes, dessen ästhetisches Kriterium die Beurteilung durch das Auge ist. Eine professionelle digitale Videokamera, deren neue Möglichkeiten für die Gestaltung eines Films genutzt werden sollen, kann deshalb nur mit der Kenntnis und der Erfahrung verwendet werden, die man bereits durch die klassische Filmfotografie gewonnen hat. Die Parameter der Kamera orientieren sich an den Methoden, welche die Fotografie entwickelt hat, um Bilder zu gestalten, und diese wiederum sind die Eigenschaften des Auges, die in die Geschichte der Fotografie eingegangen sind. Die Frage des Mediums, auf dem die Filmbilder aufgezeichnet werden, ist sekundär geworden – entscheidend ist, wie die Möglichkeiten des jeweiligen Mediums für die Gestaltung des Bildes genutzt werden können. Dabei ist es schon selbstverständlich geworden, dass sich die Aufzeichnungsmedien miteinander vermischen, je nachdem, welche Technik gerade für die Realisierung der jeweiligen Idee als die Geeignetere erscheint. Die gegenwärtige Entwicklung der Technologien ist auf Seiten der Kamera nicht mehr von der Konkurrenz der Systeme, sondern von ihrem gegenseitigen Nutzen geprägt. Dies gilt für den Dokumentar- wie für den Spielfilm.

Darum muss die Ausbildung an der Kamera heute mehr denn je auf einer umfassenden und grundlegenden fotografischen Ausbildung aufbauen, wenn es um die Einbeziehung moderner digitaler Technologien gehen soll. Kameraleute, deren Kenntnis nur auf die Arbeit mit der Videokamera beschränkt bleibt, werden langfristig an der Arbeit mit den neuen Technologien nicht teilhaben, denn diese werden auch für die Gestaltung von Dokumentarfilmen von großer Bedeutung sein. Diese Entwicklung ist keineswegs auf die Kameraarbeit für das Kino beschränkt – der Dokumentarfilm für das Fernsehen wird selbstverständlich die neuen bildgestalterischen Möglichkeiten ebenso nutzen wie der mit der digitalen Kamera gedrehte Film für das Kino.

Ich bin daher der Meinung, dass die klassische Filmfotografie die Grundlage der Ausbildung von Kameraleuten bleiben muss, und dass auch die Abschlussarbeiten an einer Film- oder Medienhochschule als Endprodukt auf Film vorliegen sollten. Nur so können die Absolventen ihre Qualifikation für das Kino nachweisen – gleichgültig ob die Filme in der Zukunft digital oder auf Filmmaterial gedreht werden. Ihnen würde sonst langfristig der Zugang zu den neuen Möglichkeiten der Medien Film und Fernsehen verschlossen bleiben, und sie würden ohne diese spezielle Ausbildung nur noch Nachrichten und aktuelle Fernsehreportagen drehen können.

Anmerkung:
Der vorliegende Text basiert auf einem Vortrag für die Fachtagung „Dokville 2005“ und ist in leicht gekürzter Form auch in der Dokumentation erschienen: Dokville 2005 – Branchentreff Dokumentarfilm, hrsg. vom Haus des Dokumentarfilms. Stuttgart 2005, S. 58-59; vgl. auch die Paneldiskussion im selben Band, S.60 – 64.
Veranstaltet wurde „Dokville 2005“ vom Haus des Dokumentarfilms Stuttgart und der MFG Filmförderung mit Unterstützung der Stadt Ludwigsburg. Im Mittelpunkt des 2-tägigen Symposiums standen zwei Schwerpunktthemen: die dokumentarischen Sendeplätze im Fernsehen und die Produktion von Dokumentarfilmen mit HD und deren Vertrieb als hoch auflösende Filme im Digitalformat.

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