Beiträge

Thomas Kuchenbuch

Biographie

Beiträge

Hans Moser in zehn Thesen

Klemens Gruber (Wien)

  1. Heute ist Hans Moser bei den Deutschen populär, weil er für eine Langsamkeit steht, die sie als Lebensqualität hinterm (Wiener) Wald schätzen. Das deutsche mittlere Management kommt gern übers Wochenende nach Wien und nimmt sich hier hidden refresh, während die Daheimgebliebenen „mosern“.

  2. Hans Mosers Hauptrequisite ist das Telephon, Inbegriff moderner Technik der 1920er Jahre. Dazu die Koffer, seit kurzem wieder das österreichische Schimpfwort schlechthin. Ansonsten Tratsch, läppische Heimlichkeiten, ewige Ordnung und dienstbare Gefühlswelten, wie sie ein romantisierendes Programm nur als Verfallsform von Romantik bereitstellen kann.




    Foto: Bettina Letz

  3. Das Foto zeigt Hans Moser als Schaufensterpuppe in einem Geschäft für Jugendstilmöbel und originale Nachbauten, das sich Galerie Ambiente nennt, in der Wiener Innenstadt. In einem solchen Ambiente möchte das gehobene Kleinbürgertum heute leben. Da passt der Moser als Dienstmann, als migräne-resistente Dekoration: Fortsetzung des Jugendstils ohne das Spannungsfeld von Natur, Technik und sublimierter Künstlichkeit.

  4. Mosers Gestammel ist Ausdruck der blockierten Moderne in Österreich. Friedrich Achleitner hat die Explosion der Sprache um die Jahrhundertwende als Resultat des Niedergangs der Habsburgermonarchie dargestellt, nach Jahrhunderte langer Unterdrückung der sprachlichen, also gefährlichen Künste durch die Obrigkeit bei gleichzeitiger Favorisierung von Musik, Malerei, Architektur. Diese Entfaltung der Sprachkunst wurde alsbald abgewürgt: vertrieben, liquidiert, mundtot gemacht. Moser bleibt als stotternder Wittgenstein, als feixender Kuh, als bonsaïsierter Karl Kraus.

  5. Dass in Liliom Hans Moser im Himmel als dienstfertiger Pförtner arbeitet und Antonin Artaud auf der Erde als scherenschleifender Sensenmann, charakterisiert die Lage 1934 ausreichend. (Letzterem werden die Straubs in Sicilia ein Remake zuteil werden lassen.)

  6. In den 30er Jahren wird Österreich eine rückständige Gegend. Während das deutsche Kapital die Reichsautobahn bauen lässt, pflastert der sogenannte Ständestaat die Wiener Höhenstraße. Hans Moser wuchert im Psychotop dieses Kopfsteinpflasters, ein Wort übrigens, in dem die Dramatik der damaligen politischen und kulturellen Auseinandersetzungen blitzartig abläuft.

  7. Zu dem, was ein Theaterlexikon Mosers „von der Filmindustrie genützte Fähigkeit zur Darstellung kauziger Wiener Originale für die Produktion meist belangloser Unterhaltungsfilme“ nennt, kommt eine Überdosis Provinzialismus. Ischl, Gmunden und das steirische Salzkammergut sind die filmisch gefeierten Restl des austro-hungarischen Imperiums: mit einem von Max Reinhardt entdeckten begnadeten Volksschauspieler, dessen Theaterkarriere naturgemäß hinter der Erinnerung der Fernsehöffentlichkeit verschwunden ist. Ein rechter Kaiserschmarrn, diese Filme.

  8. An der Rückständigkeit ändert sich nach dem Krieg nichts. Wien ist gar nicht mehr kosmopolitisch, das Hotel eben ein Landgut oder besser noch eine Jagdhütte, der Portier sorgt für Kontinuität und für alberne Züchtigkeit, während aus den Transistorradios Rock n’ Roll nach Österreich dringt. Und die im Fortschritt vorbeiziehenden Touristen sind allesamt Deutsche, die sich aufführen wie gewohnt, in ihrem natürlichen Luftschutzbunker.

  9. Die eigentliche Gegenfigur zu Hans Moser aber ist Qualtingers Herr Karl: Impertinenz statt Oberflächlichkeit, Opportunismus statt Dienstfertigkeit, Perversion des Lokalen statt Lokalkolorit. Realismus statt Sentimentalität, autochton und selbstreflexiv bis zur Aufsässigkeit.

  10. Hans Moser ist nicht nur Mitglied des Burgtheaters seit 1954, sondern populäres, wenn auch unerkanntes – gewissermaßen nichtkorrespondierendes – Mitglied der Wiener Gruppe. Was diese in die Schreibmaschinen hämmert, bricht aus jenem mündlich und samstagnachmittäglich als konkrete Poesie hervor. Mit der Artikulation des Unsäglichen kommt das Burgtheaterdeutsch eben nicht zu Rande.

  11. International aber wird schon die Welt von Jacques Tati konstruiert, aus Plastik, Transparenz und zirpender Elektronik. Doch das provinzielle, von Ost- und Westagenten bevölkerte Wien wird auch diese planetarische Modernisierungswelle der 1960er unbeschadet überstehen. Erst mit gehöriger Verspätung erholen sich die Wiener von einer Epidemie der Schlafkrankheit, in der sie seit Jahrzehnten versunken.

Beiträge

Prof. Rolf Coulanges

Prof. Dr.
Mike Friedrichsen

Dr. Anton Fuxjäger

Prof. Dr. Helmut Graebe

Prof. Dr.
Klemens Gruber

Britta Hartmann

Prof. Dr. Frank Kessler

Prof. Dr. Sonja
de Leeuw

Sabine Lenk

Rolf Neddermann

Prof. Dr. Andreas Schreitmüller

Prof. Dr. Hans J. Wulff

© Hochschule der Medien Stuttgart (HdM) 2005 | Impressum