Das Gourmet-Prinzip - Eine gastronomische Perspektive zum Thema Medien, Prozessoptimierung und PIM

Wann waren Sie das letzte Mal in einem guten Restaurant? Wenn Sie dort speisen, erwarten Sie mit Sicherheit, dass einige wichtige gastronomische Grundregeln erfüllt werden. Speisen und Getränke sollten Ihnen munden, das Menü sollte kreativ, qualitativ hochwertig, appetitlich und richtig zusammengestellt sein. Vom Service erwarten Sie Fachkunde und insbesondere ohne lange Wartezeit nach unseren Ordern in einer angebrachten Weise bedient zu werden. Sie schätzen es vermutlich auch, wenn letztendlich Preis und Leistung in einem angemessenen Verhältnis stehen.

Das Gourmetprinzip und die sechs “R”

Was in der gehobenen Gastronomie als Erfolgsfaktorsprinzip gilt, ist für Güter und Dienstleistungen anderer Branchen und Wirtschaftsbereiche ebenfalls relevant. Das Gourmet-Prinzip, “den Kunden richtig bedienen”, dies gilt vielfach für den Industrie- und Konsumgüterbereich ebenso wie für Handel, Dienstleistungen und Medien. Im Supply Chain Management (SCM), der Lehre der Denkens in ganzheitlichen Prozessen, ist bei Service- und Distributionsprozessen vordringlich das Prinzip der sechs “R” zu erfüllen: das richtige Produkt, in der richtigen Qualität, in der richtigen Menge, zur richtigen Zeit, an den richtigen Ort. Sie haben nur fünf “R” gezählt? Gut aufgepasst! Mit dem sechsten “R” verhält es natürlich auch wieder wie im Restaurant: zu den “richtigen” Kosten, denn auch ein Gastronom möchte Geld verdienen.


Abb.1: Sich einmal in einem Gourmettempel verwöhnen lassen – wer will das nicht?


Die Vison der Media Supply Chain

Nun kann man Medien zwar eigentlich nicht essen, aber wir konsumieren sie trotzdem. Medien sind einerseits materielle Produkte, z.B. Zeitungen oder Bücher, für die ein materieller SCM-Ansatz zur Versorgung und Lieferung grundsätzlich greift. Anderseits ist “richtige Kundenbedienung” bzw. “Kundenversorgung” bei neuen Medien - z.B. bei Webcasts oder elektronischen Katalogen – auch virtuell über Netzwerke und Systemdownloads möglich. Zur Unterscheidung von der klassischen, materiellen Supply Chain wird daher von der Media Supply Chain, der Prozesskette zur Versorgung mit materiellen und virtuellen Medien, gesprochen. Im letzten Fall können Produkte und Service zwar virtuell sein und z.B. Content, Informationen und Nachrichten umfassen, die sechs “R” des klassischen SCM greifen aber ebenfalls. Diese Vision der Media Supply Chain gewinnt in den Unternehmen vor allem deshalb an Bedeutung, da oftmals die Publishingprozesse intern und nach Extern wenig einheitlich, wenig strukturiert und wenig durchgängig gestaltet sind.

Abb. 2: Nicht alle Prozesse im Unternehmen laufen reibungslos

Steigender Aufwand führt zur Prozessoptimierung

Kurze Produktlebenszyklen und vielfältige, neue Produkte machen im Unternehmen beispielsweise oft schnelle, intensive und individuelle Marketing- und Vertriebsaktivitäten erforderlich. Der richtige Medienmix entscheidet dann letztlich über den langfristigen Umsatzerfolg. Personalisierte Werbung, Erschliessen von neuen Zielgruppen, oder intensiverer Kommunikationsbedarf am Point of Sale führt aber oftmals auch zu einem deutlich höheren Kostenaufwand. Die Media Supply Chain, insbesondere das Zusammenspiel aller relevanten Prozesse muss daher effizient gestaltet und die Prozesse laufend optimiert werden, was uns zum Thema “Marketing-Prozessoptmierung” (MPO) und Produkt Informations Management (PIM) führt.

Abb. 3: An PIM-Systeme werden vielfältige Anforderungen gestellt


Die heute vielfach verfolgten Ansätze sind vor allem stark vom Gedanken IT-gestützter Lösungen geprägt. Sie konzentrieren sich somit im wesentlichen auf Softwaretechnogie: Den Import von Produkt- und Stammdaten aus vorgelagerten IT-Systemen, den Einsatz zentraler Datenbanken für Media Assets und die medienneutrale Datenhaltung für das sogenannte Multichannel-Publishing z.B. in Print- und Webkanäle. Die heute am Markt verfügbare Softwaretechnologie hilft die Datenqualität gegenüber konventioneller Kampagnendurchführung erheblich zu verbessern, da eine Datenzentralisierung einen “single point of truth” schafft, d.h. Datenintegrität und –aktualität sichert. Webbasierte Zugriffskomponenten ermöglichen es Management, Kreativen und Medienproduktionern, während laufender Projekte auf Content, Zwischenstände und kreierte Medienassets zuzugreifen und Versionen, Änderungen und Zeitleisten zu beherrschen. Trotz der mittlerweile ausgereiften Softwaretechnologie wird allerdings die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen für eine durchgängige Media Supply Chain vielfach unterschätzt.


Medienbrüche und nicht abgestimmte Prozesse als Stolpersteine

Prozesse schlank, einfach und beherrschbar zu gestalten bzw. zu betreiben wäre das Ideal, doch wie sieht es hier in der Unternehmensrealität aus? Eine Studie der Hochschule der Medien in Stuttgart zeigte: Informationsverluste bemängelten fast 75%, unklare Verantwortlichkeiten sowie in Folge Doppelarbeiten fast 50% bzw. über 40% der beteiligten Unternehmen. Das klassische Phänomen “Medienbruch” (engl. media discontinuity) kennt man in fast jedem Unternehmen. Kunden- und Produktdaten werden beispielsweise in verschiedene elektronischen Ablagen im Unternehmen verwaltet. Da erreicht uns “ausnahmsweise” das Fax oder die Mail eines Aussendienstmitarbeiters, der nicht “online” zugreifen kann, aber Daten aktualisieren will. Die Änderung wird jetzt ausgedruckt, erfasst und “händisch” neu eingepflegt. Schon haben wir Mehraufwand bzw. Doppelarbeit erzeugt: Zeit, Kosten und möglicherweise Informationsverluste, Fehler sowie ggf. Abweichungen vom Prozessstandard.

Abb. 4: Die Ursachen für eine geringe Prozessfähigkeit sind häufig vielschichtig


Prozessfähigkeit als Voraussetzung für optimierte Prozesse

Medienbrüche sind daneben auch Zeichen mangelhafter Prozessfähigkeit.
Als Stufen der Prozessfähigkeit gelten heute:

  • Stufe 1: Initialer Prozess: Intuitive, experimentelle Abläufe, Ergebnisse variieren abhängig von den Mitarbeitern
  • Stufe 2: Wiederholbarer Prozess: “Black Box” innerhalb vieler Abläufe, nur wenige erfahrene Mitarbeiter kennen sich aus
  • Stufe 3: Definierter Prozess: Ablauf wird komplett dokumentiert, viele Mitarbeiter verstehen und leben Abläufe bzw. Aufgabeninhalte
  • Stufe 4: Gesteuerter Prozess: Zusätzlich werden übergreifende Kontrollstrukturen erkannt und angewendet
  • Stufe 5: Optimierter Prozess: Durch “Best Practise” können Abläufe und Kontrollstrukturen jetzt perferktioniert und laufend verbessert werden.

Abb. 5: Ein sinnvoller Softwareeinsatz ist erst mit Stufe 3 und höher empfehlenswert.


Fazit

Ist es denkbar, eine bessere Prozessfähigkeit einfach nur dadurch zu erreichen, dass PIM-Bausteine eingeführt bzw. Software über nicht saubere Prozesse gestülpt werden? Dies darf bezweifelt werden. Wir sollten uns also bewusst werden, dass wir zunächst mit einer besseren Prozessfähigkeit die Voraussetzung für eine durchgängige Media Supply Chain zu schaffen haben. Auch im guten Restaurant muss letztlich das Team aus Küche, Service und Restaurantleitung perfekt zusammenspielen, wenn wir als Gourmet wiederkommen sollen.

Weiterführende Informationen

Der Originalartikel von Prof. Thaler wurde 11/2008 veröffentlicht in: publishing-report (Online-Magazin)

http://www.publishing-report.com/online-magazin/2008/11/Gourmet-Prinzip.php