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„Wir müssen Roboter bauen, die freundlich zu uns sind“

Jahrestagung IDEepolis 2024: Mensch — Maschine: Roboter im öffentlichen Raum

Wie müssen Roboter gestaltet sein, damit sie sich in den öffentlichen Raum integrieren können? Und wer übernimmt die Verantwortung, wenn ein Reinigungsroboter einen Schaden verursacht? Fragen wie diese diskutierte die IDEepolis-Jahrestagung „Mensch — Maschine: Roboter im öffentlichen Raum“ am 19. Juni 2024 an der Hochschule der Medien (HdM) Stuttgart. Deutlich wurde dabei: die Digitale Ethik spielt im Jahr des zehnten Jubiläums des Instituts für Digitale Ethik eine zentrale Rolle.

Petra Grimm auf der IDEepolis 2024

„Als wir das Institut 2014 gründeten, war der Begriff ‚Digitale Ethik‘ weitestgehend unbekannt. Das hat sich seither maßgeblich geändert“, sagte die Mitgründerin und -leiterin des Instituts für Digitale Ethik (IDE), Prof. Dr. Petra Grimm, zur Eröffnung der Jubiläumsausgabe der Jahrestagung IDEepolis. Das zeigte sich auch an der Gästeliste: Mit Prof. Dr. Armin Nassehi (LMU München), Prof. Dr. Catrin Misselhorn (Georg-August-Universität-Göttingen) und Prof. Dr. Oliver Bendel (FH Nordwestschweiz) waren renommierte Expertinnen und Experten an die HdM gekommen, um einen Tag lang über aktuelle Fragen der Roboterethik zu diskutieren – und auf hautnahe Tuchfühlung mit den beiden Robotern „Cordula Grün“ (Adlatus GmbH, Ulm) und „Andrea“ (HdM Stuttgart) zu gehen.

 

„Künstliche Intelligenz (KI) stellt uns vor einer antikopernikanische Wende: Sie will den Menschen aus dem Dreh- und Angelpunkt der Welt hinausheben“, diagnostizierte Catrin Misselhorn, und Oliver Bendel ergänzte: „Der gute alte Industrieroboter war Käfighaltung für Roboter, und aus dieser Käfighaltung haben wir ihn nun befreit“. Mit den jüngsten Entwicklungen der Robotik stünde der „universelle Roboter“ vor der Tür: „Es wird eines Tages möglich sein, Roboter mit Teilen des Gehirns auszurüsten. Das ist keine science fiction mehr“.

 

Mensch und Maschine als soziales System

Armin Nassehi auf der IDEepolis 2024

Die Visionen der modernen Robotik werfen aber auch ethische Fragen auf: „Wir geben Maschinen immer mehr Freiheit, und das kann gefährlich sein“, gab Bendel zu bedenken. Herausforderungen bestehen insbesondere beim Einsatz von Robotern in der Kriegsführung, wie beispielsweise in der Ukraine bereits geschehen, oder immer dann, wenn Roboter gezwungen sind, moralische Abwägungsentscheidungen zu treffen. Denn „Maschinen können keine Verantwortung übernehmen“, wie Catrin Misselhorn aus philosophischer Sicht einwarf, weswegen sie sich klar dagegen aussprach, Robotern irreversible Entscheidungen über Leben und Tod zu überlassen. Der Münchner Soziologe Armin Nassehi brachte aus systemtheoretischer Perspektive eine komplementäre Sichtweise ein und plädierte für eine „Erweiterung des Maschinenbegriffs“: „Technik von Humanität zu unterscheiden ist naiv, weil Technik von Menschen hergestellt wird“. In der Interaktion zwischen Mensch und autonom handelnder Maschine entstehe doppelte Kontingenz und damit ein soziales System: das Verhalten eines intelligenten Roboters sei nicht prädestiniert und gerade deswegen als das eines sozialen Akteurs zu betrachten.

 

Akzeptanz durch inklusive Technikgestaltung

Wie sich derartige Akteure in der sozialen Alltagsrealität tatsächlich verhalten bzw. wie Menschen mit autonomen Robotern umgehen, das untersucht das Forschungsprojekt ZEN-MRI, an dem das IDE gemeinsam mit Partnern aus der Universität Ulm und dem Fraunhofer IAO beteiligt ist. „ZEN-MRI hat das Ziel, aus dem Labor herauszugehen und sowohl Wissenschaftler als auch Roboter auf die Straße zu bringen“, erklärte Prof. Dr. Johannes Kraus, Konsortialleiter des Forschungsprojekts. In dessen Rahmen wird der autonome Reinigungsroboter „Cordula Grün“ der Adlatus GmbH in Ulm erprobt. „Cordula Grün“ fährt dabei unter wissenschaftlicher Begleitung durch die Ulmer Bahnhofspassage und muss möglichen Passanten ausweichen – auch denjenigen, die beispielsweise aufgrund eingeschränkter Sehfähigkeit den Roboter nicht wahrnehmen können: „Wir müssen neue Technologie von Anfang an inklusiv denken“, so Kraus.

Der Reinigungsroboter Cordula Grün auf der IDEepolis 2024

Aufwändige Nutzerstudien mit Kamera- und Eyetracking-Verfahren hätten so eine „charmante Dreiteilung zwischen positiv, neutral und negativ“ in der sozialen Akzeptanz des Reinigungsroboters ergeben. „Spannenderweise ist die Perspektive von Menschen aus der Reinigungsbranche auf Reinigungsroboter wesentlich positiver als diejenige von Menschen, die nicht in dieser Branche arbeiten“, ergänzte Dr. Kai-Erik Trost, Projektmitarbeiter am IDE. Am Ende, so Prof. Dr. Oliver Zöllner, der im Leitungsgremium des IDE tätig ist, sei der Einsatz von Robotern im öffentlichen Raum eine Frage der Akzeptanz: „Auch an Videoschalten aus Japan haben wir uns gewöhnt – unsere Großeltern haben sich da noch gegruselt. Wenn man das auf die Robotik überträgt, bin ich gespannt, welche Adaptionsleistungen uns da noch erwarten“.

Roboter als Museumsguides?

Aus ebendiesem Japan zugeschaltet war Prof. Dr. Christian Becker-Asano vom Humanoid Lab am Institute for Applied Artificial Intelligence (IAAI) der HdM. Er präsentierte den androiden Roboter („mein Leib-und-Magen-Thema“) „Andrea“, der seit 2022 an der HdM beheimatet ist und dank ChatGPT nach und nach unterschiedliche Sprachen lernt. „Unser Ziel war es, einen Roboter zu bauen, der möglichst männlich und weiblich zugleich gestaltet werden kann“, so Becker-Asano. Das wirke keinesfalls abschreckend: „Wir sind in das Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart gegangen und haben den Roboter dort aufgestellt“, berichtete er weiter. Eine Umfrage unter den Museumsbesuchern habe dabei ergeben, dass diese sich „Andrea“ sehr wohl beispielsweise als zusätzliches Informationsangebot im Museum vorstellen könnten. Bis es so weit ist, konnten die Besucher der IDEepolis „Andrea“ auch am Rande der Jahrestagung hautnah erleben.

Android Andrea auf der IDEepolis 2024

Was bleibt von einem intensiven Tag voller wissenschaftlicher Debatten rund um Roboter im öffentlichen Raum? „Damit KI nicht zu einer antikopernikanischen Wende führt, sollten wir uns bei der Entwicklung an moralische Grundsätze halten“, fasste Catrin Misselhorn die zentrale Forderung aller Tagungsteilnehmer zusammen. „Der universelle Roboter könnte zum Roboter werden, der unser Überleben sichert. Er könnte aber auch zum Gegner werden, der sich gegen uns wendet. Das müssen wir verhindern – indem wir Roboter bauen, die freundlich zu uns sind“, ergänzte Oliver Bendel. Die Digitale Ethik kann als Instrument der empirisch begründeten Reflexion eine zentrale Rolle einnehmen, um dieser Forderung gerecht zu werden.

 

Text: Jan Doria
Bilder: Aaron Kubach