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Prof. Dr. Richard Stang aus dem Studiengang Informationswissenschaften und Co-Leiter des Learning Research Center der Hochschule der Medien im Interview zu „Lernwelten“

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Prof. Dr. Richard Stang

Prof. Dr. Stang forscht ist Experte für Lernraumgestaltung und forscht seit 20 Jahren zu diesem Thema. Er hat aktuell an Arbeitspapieren des Hochschulforums Digitalisierung mitgewirkt, die demnächst veröffentlicht werden. Die „Lernwelt“ an der HdM wird hier als eines von vier Beispielen aus Deutschland vorgestellt.

Herr Dr. Stang, wie hat sich die Lernwelt seit der Gründung bis heute verändert?
Ein zentraler Aspekt ist sicher die Nutzung der Studierenden. Als wir vor acht Jahren mit dem LearnerLab begonnen haben, waren die Studierenden noch sehr unsicher im Umgang mit einer frei verfügbaren und flexiblen Raumstruktur. Sie haben eher zögerlich die Möglichkeiten des damals auch deutlich kleineren Raums genutzt. Heute ist es selbstverständlich, dass sich die Studierenden in der Lernwelt ihr Lernarrangement selbst zusammenstellen. Die Nutzung der Möglichkeiten im Raum ist deutlich facettenreicher geworden. Man kann auch sagen, dass die Studierenden gelernt haben mit der Flexibilität umzugehen, was kein triviales Unterfangen ist.

Wie beurteilen Sie den klassischen Hörsaal an Hochschulen als Lernraum?
Der klassische Hörsaal – das lecture theatre, wie es im Englischen treffend heißt – hat sich seit dem Mittelalter kaum verändert. Die didaktischen Möglichkeiten sind vor allem in den ansteigenden Hörsälen extrem eingeschränkt. Es bleibt oft nur die klassische Vorlesung und die ist letztendlich immer nur so gut wie die Vortragenden. Leider haben nicht alle Lehrenden die Gabe, das Publikum – und in dem Fall nichts anderes sind in dem Fall die Studierenden – mitzureißen. In Anbetracht des PowerPoint-Stakkato in manchen Vorlesungen hat man eher den Eindruck, dass diese Gabe eher verloren geht. Der Hörsaal braucht passiv Zuhörende und lässt kaum Freiraum für aktiv Lernende. Zur Ehrenrettung muss man allerdings auch sagen, dass das Betreuungsverhältnis von Lehrenden und Studierenden in Deutschland katastrophal ist und so manchmal die Vorlesung mit 500 oder 1.000 Studierenden, die einzige Option ist, Studierende mit Inhalten zu bedienen – manchmal werden dann Vorlesungen auch in Nachbarhörsäle per Video übertragen, damit alle Studierenden in den Genuss kommen können. Aus didaktischer Perspektive eher ein Bankrotterklärung unseres Bildungssystems. 

Gibt es Praxisbeispiele für Hörsäle, die sich gewandelt haben?
Ich besuche sehr viele Hochschulen und wir untersuchen im Rahmen unseres Forschungsprojekts „Lernwelt Hochschule“ die deutsche Hochschullandschaft auch im Hinblick auf die Qualität der physischen Lehr- und Lernräume. Gerade war ich an der Ernst-Abbe-Hochschule Jena. Dort gibt es einen sehr großen ebenerdigen Veranstaltungsraum, der als Hörsaal dienen kann, der aber ohne großen Aufwand für ein World-Café oder andere didaktische Gruppenlernformen umgebaut werden kann. An solchen Raumkonstellationen wird in Zukunft kein Weg vorbeiführen.

Wie sehen die Lernräume der Zukunft für Sie aus?
Die gibt es schon. Im Rahmen unserer Forschungen war in im Innovation Space der TU Eindhoven. Dort arbeiten Studierende an konkreten Projekten, die die Probleme der Zukunft lösen helfen sollen. Dazu gibt es Projektlabs, in denen die Studierenden in interdisziplinären Teams über ein bzw. zwei Semester an Lösungen arbeiten. Fachliche Inputs werden auf offenen Flächen gegeben, die ansonsten flexible Lernareale sind. Lehrende, Mitarbeitende und Studierende arbeiten in diesem Open Space auf Augenhöhe in der gleichen Umgebung. Kabinen und Telefonzellen ermöglichen bei Bedarf den Rückzug. Im Zentrum des Innovation Space steht eine Küchenzeile und Kommunikationszone, in der sich alle treffen können, um gemeinsam zu essen, zu kommunizieren und – im besten Fall – neue Ideen zu entwickeln. In den Niederlanden und in den skandinavischen Ländern ist man da doch einige Schritte weiter.


Sie nennen hier ein Beispiel aus den Niederlanden. Wie ist die Situation bei uns?
Es gibt natürlich vielfältige Initiativen, hier innovativ tätig zu sein. Die Lernwelt an der HdM ist hier sicher ein Beispiel. Aber in den deutschen Hochschulen herrscht noch immer eine – überspitzt formuliert – eine „postfeudale“ Kultur, in dem gerade bezogen auf Räume, „Fürstentümer“ verteidigt werden. Das hat Auswirkungen auf die Gesamtsituation.Ich ziehe gerne folgenden Vergleich: „Bei den Hochschulen in Deutschland ist es im Prinzip ähnlich wie bei der Autoindustrie. Über Jahrzehnte wähnte man sich an der Spitze der Entwicklung und sah es als unnötig an, grundlegende Veränderungen vorzunehmen, und plötzlich verändern sich die Strukturen und die Märkte und man muss aufwändig versuchen, verlorenes Terrain wieder zurückzugewin¬nen“. Und das deutsche Bildungssystem – inklusive der Hochschulen – hat gerade in Bezug auf eine Lernendenorientierung, die sich auch an der Gestaltung der physischen Lehr- und Lernräume zeigt, ordentlichen Nachholbedarf. Im Rahmen der AG Lernarchitekturen des Hochschulforums Digitalisierung haben wir versucht Hinweise zu geben, wie hier mögliche Strategien aussehen könnten. Im Rahmen der Ergebnispräsentation des Forschungsprojektes „Lernwelt Hochschule“ werden wir dies noch stärker wissenschaftlich fundieren.


Vielen Dank für dieses Interview!

 

Das Interview wurde geführt von Filiz Tokat, Mitarbeiterin des Studiengangs Informationswissenschaften

30. September 2019