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Heute geschlossen?

Über die geschlossenen und offenen Systeme im Verpackungsdruck

Heute geschlossen!?

Die geschlossenen Systeme kommen zurück in den Verpackungsdruck! Das ist dem Autor in seiner Tätigkeit zuletzt etwas schmerzlich bewusst geworden und er möchte das im Stile einer kritischen Glosse beleuchten.

Rückblick

Vor etwa 30 Jahren gab es sie noch in der Druckvorstufe, die geschlossenen PrePress Systeme. Wer sich (insbesondere bei den jüngeren Lesern) über die Ausdrucksweise wundert, dem sei gesagt, damit sind die Systeme gemeint, auf denen die Arbeit gemacht wurde, die man (nach wie vor) als Repro bezeichnet. Die Digitalisierung von Bildern, das Retuschieren, der Zusammenbau der Verpackungsgestaltung aus Bild, Text und Grafik, das Proofing und die Ausbelichtung von Filmen (die damals noch das bevorzugte Medium zur Bildübertragung auf die Druckplatte gewesen sind) wurde auf Anlagen von vier alternativen Anbietern gemacht. Die Namen Crosfield, Dainippon Screen, Hell und Scitex sind heute fast gänzlich vom Markt verschwunden, lediglich die Firma Hell besteht noch in veränderter Form und Rückstände der Firma Scitex sind noch über deren Käufer Creo im heutigen Eigentümer Kodak zu entdecken.

Die sogenannten Reproiden hatten sich typischerweise im Laufe der Zeit für jeweils einen der vier Anbieter entschieden und dessen Anlagen gekauft. Erweiterungen des Systems oder Ersatzinvestitionen waren von da an auf diesen gewählten Anbieter beschränkt. Deswegen können solche Systeme als geschlossenoder proprietärbezeichnet werden.

in den Maßstäben der heutigen Zeitgeschichte betrachtet sind diese Systeme und damit deren Hersteller ziemlich schnell vom Markt verschwunden, als die sogenannte DTP Revolution eine Alternative bot. Von da an konnte man nämlich sein System aus Hardware und Software unter konkurrierenden Angeboten nahezu frei zusammenstellen. Das ging deutlich kostengünstiger als bei den besagten Anbietern und rief dadurch zahlreiche neue Unternehmer auf den Plan, weil die Einstiegshürde relativ niedrig geworden war. Neue Unternehmen, heute würde man sie als Startup bezeichnen, wurden nicht selten von ehemaligen Mitarbeitern der alten Anwender geschlossener Systeme gegründet und machten ihren alten Arbeitgebern Konkurrenz.

Die DTP Revolution gebar übrigens auch das Bedürfnis und den Begriff des Farbmanagement, den es vorher nicht gegeben hatte. Bei den geschlossenen Systemen war nämlich der Hersteller dafür verantwortlich, dass die digitale Farbe überall „richtig“ interpretiert wurde, aber ab dem „Do it yourself“ der DTP Revolution konnte man aber keinen einzelnen der Geräte- oder Softwarehersteller mehr für das große Ganze verantwortlich machen und brauchte diese zusätzliche neue Instanz des Farbmanagement. Aber das ist für unser vorliegendes Thema nur ein Nebenschauplatz.

Viel interessanter ist, dass die Welt des Drucks offensichtlich die Offenheit dem Geschlossenen auf breiter Front vorgezogen hat. Heute stellen wir unsere PrePress Systeme aus Rechnern, Software, Eingabe- und Ausgabegeräten selbst zusammen und fahren damit sehr gut. Kann man aber daraus schließen, dass sich geschlossene Systeme in der Drucktechnik ein für alle Mal erledigt haben? Ich dachte jedenfalls lange Zeit so und wurde dann aber kürzlich eines Besseren belehrt.

Heute

Es mag heute für viele von uns so aussehen, als erlebten wir (nun endlich?) das beginnende Zeitalter des Digitaldrucks im Verpackungsbereich. Damit kommen aber die geschlossenen Systeme mit voller Wucht zurück! Ist das uns allen bewusst?

Was ich damit meine? Sehen wir uns die Situation in den Digitaldruckmaschinen doch mal näher an. Ich spreche jetzt mal für den Tintenstrahldruck, aber man kann das alles auch auf andere digitale Techniken anwenden. Wir finden eine zwingende Kopplung zwischen dem Druckkopf und seinen Tinten vor. Die beiden gehören untrennbar zusammen und, auch wenn man vielleicht im Konsumsbereich schon mal die NoName-Ersatzpatronen für seinen Inkjetdrucker zu Hause kaufen mag, man ist damit auf ein bestimmtes Produkt und damit dessen Hersteller festgelegt. Der Druckkopf wiederum ist aber praktisch wiederum mit der Druckmaschine „verheiratet“, in der er verbaut ist. Druckköpfe in einer bestehenden Digitaldruckmaschine gegen ein anderes Fabrikat auszutauschen ist schlichtweg undenkbar. Das erfüllt für mich den Tatbestand eines Quasimonopols oder, etwas freundlicher ausgedrückt, eines geschlossenen Systems.

Nur mal so als Kontrast: eine konventionelle Druckmaschine ist dagegen ein offenes System. Auch hier spreche ich jetzt mal mit den Worten des Flexodrucks, aber das alles ist sinngemäß auch auf andere Verfahren anwendbar. Wir kombinieren in so einer Druckmaschine, die wir von einer ganzen Reihe verschiedener Hersteller kaufen können, die Druckfarben, Rasterwalzen, Unterbauten und Trägermaterialien, sowie Druckplatten, wie wir es uns selbst konfiguriert haben. Für jede dieser Komponenten gibt es mehrere Anbieter, die miteinander im Wettbewerb stehen. Wettbewerb führt, wie wir wissen, zu Vorteilen auf der Käuferseite und ist quasi das Gegenteil eines Monopols, das in einem geschlossenen System herrscht.

Wenn wir uns also als heute konventionelle Druckereien in den Digitaldruck vorwagen, dann begeben wir uns von einem offenen in ein geschlossenes System. Kein Wunder für mich, dass einem das etwas Bauchweh machen kann.

Ausblick

Durch den schier unausweichlich erscheinenden Eintritt in den Digitaldruck lassen wir jetzt also die geschlossenen Systeme wieder zurück in unsere Druckpraxis, nachdem wir sie für Jahrzehnte als „Persona non grata“ betrachtet haben? Nun, fairerweise muss man hier auch einräumen, dass die geschlossenen Systeme natürlich nie ganz aus unserem Leben verschwunden sind. Viele von uns, mich eingeschlossen, arbeiten beispielsweise mit Begeisterung auf Rechnern der Firma Apple. 

Und so ganz ohne Vorteile sind die geschlossenen Systeme nun auch wieder nicht. Sie lassen beispielsweise zumindest keine Qual der Wahl zu. Damit verschieße ich gerade einen kleinen Giftpfeil in Richtung der Systemanbieter im Bereich der Flexodruckformherstellung. Die zahlreichen Innovationen der letzten paar Jahre haben hier dazu geführt, dass eine unvergleichliche Vielzahl an Möglichkeiten auf dem Markt ist, Flexodruckformen herzustellen. Nicht wenige kennen sich da gar nicht mehr vollständig aus und keiner kann heute wissen, ob er eine zukunftssichere Investition getätigt hat. Es mag dann vielleicht sogar schon willkommen sein, wenn ein relativ neuer Marktteilnehmer nun wieder mit einem geschlossenen System daherkommt. Nur so kann ich mir jedenfalls dessen Erfolg, abseits der technischen Meriten, plausibel erklären.

Natürlich träumt man in Wirtschaftsfirmen davon, Inhaber eines solchen geschlossenen Systems zu sein, an dem die ganze Welt nicht vorbei kann, weil man dann natürlich als Monopolist ganz anders agieren kann als mit dem lästigen Wettbewerb im Genick. Insofern muss man einräumen, dass die geschlossenen Systeme natürlich immer für diejenigen interessant sind, die sie besitzen, während der Käufer natürlich besser fährt, wenn er auf einem offenen Markt agieren kann.

Soviel zu diesen Trivialitäten der menschlichen Natur und der Druckwelt. Ich bin hier nicht angetreten, die Frage zu beantworten, ob es gut oder schlecht ist, offene oder geschlossene Systeme zu haben. Ich möchte lediglich ihr Augenmerk entsprechend ausrichten und schärfen. Über ihre Gedanken und Rückmeldungen dazu freue ich mich jetzt schon!

Ihr Martin Dreher



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Prof. Dr. Martin Dreher  Elektronische Visitenkarte


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