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Rural Coworking - Coworking im ländlichen Raum

RURAL COWORKING - Coworking fasziniert auch den Ländlichen Raum

Mit welchen Ansätzen kann die Kreativwirtschaft in ländlichen Regionen gefördert werden? Diese und weitere Fragen untersuchte ein Forschungsteam der Stuttgarter Hochschule für Medien. In einer Studie prüften sie individuelle Fördermodelle ebenso wie die Bedeutung von Coworking Spaces und Kreativzentren im ländlichen Raum.

Die wichtigsten Ergebnisse:

Bedeutung der Kreativwirtschaft Die Branchen der Kultur- und Kreativwirtschaft (kurz: Kreativwirtschaft) stellen im ländlichen Raum Baden-Württembergs einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar. Ihre erhöhte Sichtbarkeit sowie gezielte Förderung wird deshalb zunehmend wichtiger. Die Heterogenität der Kreativwirtschaft erschwert es jedoch den Verantwortlichen in Politik bzw. Verwaltung die Strukturen und Prozesse der darin zusammengefassten Teilbranchen zu überblicken und hieraus förderpolitische Folgerungen abzuleiten. Zudem sind vorhandene Förder- und Beratungsstrukturen oftmals nicht auf die besonderen Arbeitsweisen und Förderbedarfe der Kreativwirtschaft ausgerichtet. An dieser Stelle setzte das Forschungsprojekt „Kreativwirtschaft im Ländlichen Raum: Kommunikationskonzept und Förderansätze" an. Es hatte zum Ziel, die Branchen der Kreativwirtschaft stärker in das Sichtfeld von Politik und Verwaltung zu rücken sowie eine gemeinsame Verständnisgrundlage für eine effektive Zusammenarbeit zu schaffen. Hierfür wurden vorhandene Förderstrukturen aus Sicht der Akteure reflektiert und hinsichtlich ihrer Wahrnehmung und Relevanz bewertet.

Ein besonderer Fokus wurde hierbei auf das Potenzial von Coworking als progressive Förderoption sowie erweiterte Unterstützung von Kreativunternehmen und -netzwerken im ländlichen Raum gelegt. Insbesondere Teilnehmer der Kreativwirtschaft haben das Coworking-Arbeitskonzept für sich entdeckt und nutzen bereits dessen Vorteile. Die Kreativbranchen selbst decken eine Reihe verschiedener kultureller und kreativer Bereiche ab, u.a. Medien, Design, Film, Verlagswesen, Werbung sowie Software und Games. Ihr wichtigstes Gut ist ihre Fähigkeit, sich etwas vorzustellen, zu erschaffen und zu innovieren. Darüber hinaus kennzeichnen verstärkt unternehmerische Aktivitäten sowie der experimentelle Umgang mit neuen Geschäftsideen und Arbeitsansätzen (z.B. Coworking, Work-Life-Blending) die Kreativwirtschaft. Deshalb agiert die Kreativwirtschaft auch außerhalb der eigenen Branchen zunehmend als Innovationskatalysator für wirtschaftliche und soziale Neuerungen. Zudem erkennen immer mehr politische Führer ihre ökonomische Bedeutung, sowie entscheidende Rolle bei der digitalen Transformation zur Informationsgesellschaft.

"Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Martin Engstler & Viktoria Pepler. Die Studie "Kreativwirtschaft im Ländlichen Raum: Kommunikationskonzept und Förderansätze" entstand im Rahmen des Forschungsbereichs "Creative Industries and Media Society" (CREAM) an der Hochschule der Medien in Stuttgart. Das Projekt wurde vom Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz (MLR) gefördert. Die Studie basiert auf strukturierten Tiefeninterviews sowie einer Online-Befragung mit 228 Personen. Die Teilnehmenden kommen aus der Kreativwirtschaft und der Kommunalpolitik Baden-Württembergs. Die gesamte Studie steht hier zum Download bereit: https://www.mfg.de/files/03_MFG_Kreativ/PDF/190111-Studie-Kreativwirtschaft-KWiLR_2_Engstler_Moergenthaler_Pepler.pdf."

Wichtige Ergebnisse

Die Ergebnisse der Studie bestätigen, dass der Begriff der Kreativwirtschaft noch nicht in der breiten öffentlichen Diskussion angelangt ist. Nach Ansicht der Kreativakteure ist die Sichtbarkeit der Kreativwirtschaft eher gering (44%), was sich mit den Angaben von Seiten der Gemeindevertreter deckt: Nur 28% hatten bereits eine genaue Vorstellung von dem dahinterstehenden Konzept - ein Drittel hatte den Begriff zumindest schon mal gehört. Dieses Ergebnis steht im Widerspruch dazu, dass die Gemeindevertreter die Unternehmen der Kreativwirtschaft in ihrer Region sehr gut ihrer Branche nach zuordnen können. Ihre offizielle Zusammenfassung zu einem Wirtschaftsbereich wird jedoch nur schwer wahrgenommen.

Hinsichtlich der Vertrautheit mit dem Begriff Coworking geben 38% der Teilnehmer aus der Kreativwirtschaft und nur 13% der Gemeindevertreter an, dass sie das Konzept des Coworking kennen. Zieht man in Anbetracht, dass es sich beim Coworking um ein relativ neues und vorwiegend urbanes Arbeitsmodell handelt, erscheint es kaum verwunderlich, dass viele Beteiligte damit noch nicht vertraut sind. Im weiteren Verlauf der Umfrage wurden die Teilnehmer über das Konzept des Coworking aufgeklärt und darum gebeten - unabhängig davon, ob sie bereit wären es für sich zu anzuwenden - Elemente als wichtige Grundlage zur Nutzung eines Coworking Space zu benennen. Bezüglich der Ausstattung des Space werden die Einrichtung von repräsentativen Besprechungsräumen sowie adäquater Informationstechnik erwünscht. Weiterhin werden Dienste oder Veranstaltungen zur verstärkten Netzwerkbildung und Sichtbarkeit als wichtig angesehen, das sie sich insbesondere positiv auf das gemeinsame Branding auswirken.

Hinsichtlich weiterer Mieter bzw. Nutzer des Coworking Space bevorzugen zwei Drittel der Teilnehmer vor allem Unternehmen der anderen Teilbranchen der Kreativwirtschaft. Ihre geringen Vorbehalte gegenüber der unmittelbaren räumlichen Nähe zu potenziellen Konkurrenten bestätigen sich in der Präferenz an Unternehmen der eigenen Teilbranche als Nutzer (40%). Knapp ein Viertel aller Teilnehmer sprechen sich für eine Öffnung des Space für alle Wirtschaftsbereiche aus und auch Kultureinrichtungen werden von über einem Drittel als passende Mieter im Space erachtet. Des Weiteren bevorzugen die Kreativakteure Betreibermodelle eines Coworking Space als Mischmodelle: Entweder, es teilen sich private und öffentliche Hand die Trägerschaft (43%) oder der Coworking Space wird von Betreiberinitiativen (33%) geführt. Weniger gewünscht wird das Betreiben eines Space nur durch die öffentliche Hand (26%) oder privaten Anbietern (24%). Dagegen sehen sich Gemeindevertreter vor allem in der Rolle als Wirtschaftsförderer (44%), wenngleich immerhin 14% sich die Gemeinde als Mieter in einem Coworking Space vorstellen können. Die Aussagen dazu müssen jedoch mit Zurückhaltung betrachtet werden, da während der Befragung nicht in dem nötigen Maße über das Coworking Konzept aufgeklärt wurde.

Coworking als neues und progressives Fördermodell

Coworking ist eine Kultur der Zusammengehörigkeit. Die Vorteile von Zusammengehörigkeit und kooperativer Arbeit kommen insbesondere durch die Nutzung von Coworking und Coworking Spaces zur Geltung. „Coworking fördert insbesondere die Kreativarbeit der Akteure, die durch intensive Kooperationsarbeit und die hohe Bedeutung persönlicher Kontakte gekennzeichnet ist" stellt Prof. Martin Engstler fest. Die Untersuchungen bestätigen die Annahme, dass das Coworking-Arbeitsmodell auch als progressive Fördermöglichkeit der Kreativschaffenden in ländlichen Regionen eingeschätzt wird. Weiterhin wirkt der Aufenthalt in Coworking Spaces den bestehenden Herausforderungen der Kreativschaffenden auf interner, marktorientierter und kooperativer Ebene entgegen. Dies liegt in den zahlreichen Dienstleistungen von Seiten der Betreiber begründet zu denen die technische und räumliche Ausstattung gehören sowie Business Coachings, Förderinitiativen und Veranstaltungen als PR-Maßnahmen. Die gebotenen Strukturen in Coworking Spaces erweisen sich zudem als förderlich zur Professionalisierung der Kooperationsarbeit. Diese ist für die Leistungserbringung von Kreativschaffenden und somit auch ihr individuelles Wachstum unabdingbar.

Durch die Etablierung der modernen Arbeitssituation steigt auch die Standortattraktivität des ländlichen Raumes als Arbeitsort. Hier können wirtschaftliche Aktivitäten mit den Vorzügen ländlicher Regionen verbunden werden. Coworking Spaces können an dieser Stelle als neue Bausteine moderner Arbeitskulturen sowie lebendige Kooperations- und Inspirationsorte für Innovationen gelten. Zudem stellen sie sichtbare Ankerpunkte für Kreativität und Kreativschaffende dar und schaffen wichtige Verbindungen öffentlicher und privater Räume. Durch die gemeinsame Konzeption und Umsetzung eines Coworking Space würde auch zur interkommunalen Zusammenarbeit in besonderem Ausmaß beigetragen werden. Darüber hinaus ermöglicht die dezentrale Arbeitsweise des Coworking auch im ländlichen Raum die Integration neuer Konzepte, um Leerständen zu begegnen und Ortskerne wiederzubeleben. Gerade für Unternehmen einer so stark wissensbasierten Ökonomie wie der Kreativwirtschaft eignen sich Räumlichkeiten in Ortsmitten, um ihnen neue Chancen zu eröffnen. Eine zentrale Lage vermittelt zudem das Gefühl von Aufbruch und positiver Veränderung. Weitere identifizierten Chancen und Potenziale werden im Folgenden zusammengefasst:

Coworking ...

  • treibt die digitale Transformation mit Innovationskraft und einem Entrepreneurial Spirit voran,
  • befürwortet den interdisziplinären Austausch und ist vielfältig anwendbar (z.B. Corporate Coworking),
  • ist ein Lösungsmodell für spezifische und prekäre Arbeitssituationen (z.B. Teilzeitarbeiter, Pendler)
  • hilft bei kreativen und wirtschaftlichen Herausforderungen (z.B. Zeitdruck, Anforderungsänderungen)
  • fördert verschiedene Kooperationsmodelle für (Open) Innovation, - experimentiert mit neuen Arbeitsansätzen (z.B. Work-Life-Blending),
  • bietet viele Vorteile für urbane und ländliche Regionen sowie für Akteure und Stakeholder aus verschiedenen Disziplinen auf mehreren Ebenen (z.B. Wirtschaftliche Cluster), 
  • integriert die kulturelle und kreative Perspektive in eine sich kontinuierlich verändernde Welt.

Aufgrund der umfangreichen Analysen innerhalb der Studie konnte eine hilfreiche Informations-, Diskussions- und Entscheidungsgrundlage für die Verantwortlichen in Unternehmen und in der Politik geliefert werden. Zudem dienen die Erkenntnisse nicht nur den unmittelbaren Akteuren und Förderern der Kreativwirtschaft im ländlichen Raum, sondern sind über alle Branchen- und Raumgrenzen hinweg von hoher Relevanz. Hieraus lassen sich Maßnahmenpakete und Einzelmaßnahmen für die nachhaltige Förderung der Kreativwirtschaft im ländlichen Raum ableiten. Insbesondere die Anwendung des Coworking-Modells erschließt vielfältige Vorteile für die Akteure sowie die Regionen auf mehreren Ebenen. Deshalb sollte die Anwendung von Coworking im ländlichen Raum im Sinne eines Modellprojekts und als Kooperation von Akteuren der Kreativwirtschaft und der interessierten Gemeinden angestrebt werden.

 

 


Weiterführende Links:
Beitrag im deskmag-Magazin online


Autoren

Name:
Prof. Dr. Martin Engstler  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Creative Industries, New Work (Coworking, Innovation Labs), Service Innovation, Sustainable Services & Urban Revitalisation, Change Management, Hybrid Project Management
Funktion:
Dekan
Lehrgebiet:
Dienstleistungsmanagement, Service Engineering, Innovationsmanagement, Organisation, Change Management, Digitale Transformation, Projektmanagement, Kreativwirtschaft
Studiengang:
Wirtschaftsinformatik und digitale Medien (Bachelor, 7 Semester, Zulassung bis SS 2014)
Fakultät:
Fakultät Information und Kommunikation
Raum:
I121, Nobelstraße 8 (Nobelstraße 8)
Telefon:
0711 8923-3172
Martin Engstler

Name:
Viktoria Heinzel  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Creative Industries and Media Cociety (CREAM)
Funktion:
Projektmitarbeiterin
Abteilung:
Startup Center
Raum:
Startup Center, Nobelstraße 5 (Nobelstraße 5)
Telefon:
0711 8923-3268
Homepage:
https://www.hdm-stuttgart.de/hochschule/forschung/forschungsschwerpunkte/cream
Viktoria Heinzel

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Prof. Dr. Martin Engstler  Elektronische Visitenkarte


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