Vortrag

Markenmedien

Die Marke auf dem Weg zum Medium?

Im Bereich der Markenkommunikation kann beobachtet werden, wie sich Konsum- und Gebrauchsgütermarken zu wichtigen Content-Anbietern entwickeln, die ähnlich wie Filmstudios, Fernsehsender oder Verlagshäuser hochwertige Medieninhalte produzieren, um diese zu ihrem eigenen Vorteil zu verbreiten und/oder als Ware zu vermarkten.
Beispiele sind:

·     Deutschlands Automobilhersteller bieten umfangreiche TV-Programme und Video-Portale im Online-Bereich an (Websites, youtube channels, Apps). Beispielsweise produziert die Marke Smart unter dem Namen „smart. studio.“ ein Unterhaltungs- und Serviceformat in den Metropolen Europas und verbreitet dieses u.a. über youtube und facebook.

·     Red Bull betreibt mit dem Red Bull Media House eigene TV-Sender und TV-Fenster, Online-Foren, Mobilfunkangebote und Zeitschriften („The Red Bulletin”, „Servus“) und  hat mit einem vernetzen Angebot aus Events, Filmen, Dokumentationen, Serien, Games und Musik scheinbar ein neues Geschäftsfeld für die Marke erschlossen (s. http://www.redbullmediahouse.com), das mittlerweile aktiv vermarktet wird.

·     Der eigenständige Geschäftszweig Procter & Gamble Entertainment produziert zusammen mit dem Medienkonzern NBC Universal Online-Plattformen wie www.Petside.com und www.DinnerTool.com. Dort werden themenbezogene Inhalte bereitgestellt und dank zahlreicher Social Media-Funktionalitäten den Nutzern vielfältige Möglichkeiten zur Interaktion untereinander und mit dem Unternehmen geboten.

"We are basically enabling P&G to be in the media business. Instead of us going to a company and saying we have created a platform, and 'would you like to advertise on it,' we are saying let's create content together — a platform that walks a fine line between the consumer's interests and brand need; that's our secret sauce: a property for the brand and also a distinct value for consumers." (Devin Johnson/NBC Universal zit n. Shayon 2011)

Diese Beobachtungen führen uns zu der zentralen These unserer Studie, dass Marken heute weit über bekannte Formen des Corporate Publishings (z.B. Kundenzeitschrift) oder Branded Entertainment (z.B. Dauerwerbesendungen, Placements, Sponsoring) hinausgehen und die klassischen Funktionen des marketing-kommunikationspolitischen Instrumentariums (Darstellungsfunktion, Marketingfunktion, Dialogfunktion, vgl. Bruhn 2009) um eine Medienfunktion ergänzt werden. Dabei entstehen innovative Kommunikationsplattformen, die wir als Markenmedien bezeichnen. Mit Markenmedien meinen wir die von einer Marke initiierte Produktion und den anschließenden institutionalisierten Betrieb einer von ihr gebrandeten Kommunikationsplattform. Ihre zentralen Kennzeichen sind:

·     Markenmedien können als Druckmedium (z.B. Zeitschrift), als elektronisches Medium (z.B. TV-Kanal oder -Format), als Social-Medium (z.B. Facebook-Site) oder als Medienverbund (z.B. WWW-Site, youtube channel und mobile application) realisiert werden.
·     Markenmedien werden vom Konsumenten als nicht primär werblich wahrgenommen. Redaktionelle und werbliche Inhalte verschmelzen hier zu einer undifferenzierbaren Einheit.
·     Markenmedien haben für die Menschen einen Eigenwert; sie erbringen eine spezifische Leistung bzw. Funktion für die Zielgruppe, insbesondere Unterhaltung/Entspannung oder Informationsnutzen.
·     Markenmedien zeichnen sich durch ein professionelles Content Management aus. Durch die Nutzung von User generated Content und Social Media dienen diese Kommunikationsplattformen zunehmend der Auslösung und Verstetigung von Kommunikationsprozessen zwischen Unternehmen und Zielgruppen als auch innerhalb von Zielgruppen.
·     Markenmedien schaffen ein exklusives Umfeld, um die Marke und deren Erlebniswelt zu inszenieren bzw. durch die Nutzer inszenieren zu lassen.
·     Markenmedien treten häufig für den Konsumenten als eigenständige mediale Formate oder Submarken in Erscheinung, die nicht immer in direkter namentlicher Verbindung zur Produkt-/Unternehmensmarke stehen (z.B. P&G/Petside.com).
·     Markenmedien sind langfristig ausgerichtet, d.h. sie zielen auf die institutionalisierte und regelmäßige Produktion und Verbreitung von Inhalten. Mit wachsendem Angebot können sich spezialisierte Abteilungen oder Organisationseinheiten herausbilden, die für die Produktion und den Betrieb der Inhalte verantwortlich sind (z.B. Red Bull Media House, P&G Entertainment).

Im Mittelpunkt unseres Forschungsinteresses steht entsprechend der Versuch, die Frage zu beantworten, ob von einer Innovation im Markenwesen in Form einer grundsätzlichen Funktionserweiterung der Marke um eine Medienfunktion ausgegangen werden kann.
Theoretisch kann die Entwicklung von Markenmedien plausibel gestützt werden. Ausgehend von der allgemein unbestrittenen Diagnose, dass in modernen Gesellschaften ein Meta-Prozess der Medialisierung zu konstatieren ist (vgl. Imhof 2006, Krotz 2005, 2007, Meyen 2009), ergibt sich folgender Zusammenhang:

Die Akteure im Wirtschaftssystem richten ihr Handeln zunehmend an der Logik und den Erfolgsbedingungen des Mediensystems aus, wodurch im Kern eine Überformung dieses Gesellschaftssystems durch das Mediensystem resultiert. In der Konsequenz orientieren sich die Unternehmen in ihrem Handeln verstärkt an der Logik (Publizität, Interaktivität) und den Nachrichtenfaktoren des Mediensystems, mit denen die Medienorganisationen die Selektivität der Rezipienten überwinden. Für das Wirtschaftssystem kann mittlerweile sogar eine „kommunikative Neukonstitution der Ökonomie“ (Imhof 2006: 206) diagnostiziert werden, die aus seiner Medialisierung resultiert. Davon ist auf der Meso-Ebene natürlich auch das Markenmanagement der Unternehmen betroffen.
Wenn die Marke auf dem Weg zum Medium ist, bedeutet dies im Umkehrschluss aber auch, dass der Prozess der Medialisierung zu einer weiteren Ökonomisierung von Kultur und Gesellschaft führt. Denn in dem Maße wie sich das Handeln und Kommunizieren sowie die gesellschaftlichen Institutionen in einem immer weiter reichenden Ausmaß auf die Medien beziehen, wächst stetig auch der Einfluss von Marken.

„Denn die Medien sind immer auch Medien der Anbieter, und ihr Angebot dient einem Zweck, der außerhalb der Medien selbst liegt, nämlich dem Geldverdienen.“ (Krotz 2007: 97)

Auch die Funktion und Wertschöpfung von Medien verändert sich in Folge unserer These: Geld wird weniger über den Verkauf eines publizistischen Angebots oder den Erlös von Werbeeinnahmen verdient, sondern über Anschlusshandlungen der Rezipienten – insbesondere über den Kauf von Markenprodukten in Folge der Medienrezeption.
Zur Untersuchung der angenommenen Entwicklung der Markenmedien haben wir im Mai/Juni 2012 eine Online-Delphi-Studie mit 24 Experten durchgeführt.
 
Gefragt haben wir mit geschlossenen und offenen Fragen in der 1. Stufe der Delphi
·     nach der grundsätzlichen Plausibilität der Annahme, dass Marken zukünftig zunehmend Funktionen von Medien übernehmen
·     nach richtungsweisenden nationalen oder internationalen Beispielen
·     ob Markenmedien zukünftig bei der Entwicklung und Vermarktung von hochwertigem Content mit klassischen Medienanbietern konkurrieren und zu diesen in Wettbewerb treten
·     ob eine Marke spezifische Voraussetzungen mitbringen muss, damit sie sich mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Medium entwickeln kann
·     nach den wichtigsten Ziele, die Unternehmen mit Markenmedien im Marketing-Mix/im Rahmen der Markenführung verfolgen können
·     nach der Möglichkeit, mit Markenmedien neue Geschäftsfelder für ein Unternehmen zu erschließen und damit Geld zu verdienen (Content als Ware).

Die Kommentare der Teilnehmer wurden nach Ablauf der 1. Stufe mit dem Grounded Theory-Ansatz inhaltsanalytisch auf zentrale Kategorien untersucht. Die daraus abgeleitete Zusammenfassung wurde den Experten in einer 2. Stufe gemeinsam mit allen Kommentaren im Originalwortlaut zur erneuten Kommentierung vorgelegt.
Im Ergebnis zeigt das Meinungsbild der Experten, dass wir die Frage nach einer Innovation im Markenwesen in Form einer grundsätzlichen Funktionserweiterung der Marke um eine Medienfunktion zusammenfassend durchaus bejahend beantworten können. Diese Medienfunktion muss aber differenziert betrachtet werden. Denn die Experten sind sich einig, dass Markenmedien nicht die Rolle und Aufgaben journalistischer Medien übernehmen werden und auch gar nicht sollen oder können. Die unterschiedlichen Systemreferenzen des Medien- resp. Wirtschaftssystems werden somit auch zukünftig trotz den unübersehbaren Medialisierungs- und Ökonomisierungstendenzen in der Gesellschaft als intakt aber zunehmend als hochgradig ineinander verwoben angesehen. Des Weiteren wird das Persuasionspotenzial von Markenmedien insgesamt als hoch bewertet. Dies folgt aus der Einschätzung der Experten, dass sich Markenmedien insbesondere für Zielsetzungen in den Bereichen Markenbindung, Involvement und Vermeidung von Reaktanzen eignen.

Die Teilnehmer der Delphi-Studie: u.a. Gerald Banze (Mindshare), Prof. Dr. Manfred Bruhn (Universität Basel), Philipp Dinkel (Programsolutions), Dirk Engel, Prof. Dr. Franz-Rudolf Esch (European Business School), Dr. Holger Feist (Burda Intermedia Publishing), Florian Gmeinwieser (plan.net), Kai Greib (Razorfish), Gregor Gründgens (Vodafone), Prof. Dr. Frank Keuper (Steinbeis School of Management + Innovation), Stefan Kiwit (Exit-Media), Georg Konjovic (Axel Springer), Lars-Eric Mann (IP Deutschland), Christoph Mayer (MRM), Martin Moszkowicz (Constantin Film), Nina Rieke (DDB), Michael Schade (Fishlabs Entertainment), Prof. Dr. Andreas Scheuermann (Brainpool TV), Prof. Dr. Gabriele Siegert (Universität Zürich), Uwe Storch (Ferrero), Thomas Strerath (Ogilvy & Mather), Penelope Winterhager (Draftfcb Hamburg), Alexander Wipf (Leo Burnett).

Quellen:
Bruhn, M (2009): Das kommunikationspolitische Instrumentarium. In: Bruhn, M./Esch, F.-R./Langner, T. (Hrsg.): Handbuch Kommunikation. Grundlagen - Innovative Ansätze - Praktische Umsetzungen. Wiesbaden: Gabler. S. 23-43.
Imhof, K. (2006): Mediengesellschaft und Medialisierung, in: Medien und Kommunikationswissenschaft, 54. Jg. (2006), Nr. 2, S. 191-215.
Krotz, F. (2005): Einführung: Mediengesellschaft, Mediatisierung, Mythen – Einige Begriffe und Überlegungen. In: Rössler, P./Krotz, F. (Hrsg.): Mythen der Mediengesellschaft – The Media Society and its Myths. Konstanz: UVK. S. 9-30.
Krotz, F. (2007): Mediatisierung: Fallstudien zum Wandel von Kommunikation. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Meyen, M. (2009): Medialisierung, in: Medien & Kommunikationswissenschaft, 57. Jg. (2009), Nr. 1, S. 23-38.
Shayon, S. (2011): P&G Expands Digital Branded Content as Soap Operas Fade to Black. In: Brandchannel, 23.5.2011, www.brandchannel.com/home/post/PG-Evolves-Branded-Content-Strategy.aspx; Zugriff am 11.03.2012.

Mitvortragende: Prof. Dr. Jörg Tropp
Vortrag auf Veranstaltung: Innovation der Persuasion | Die Qualität der Werbe- und Markenkommunikation in neuen Medienwelten | Jahrestagung der Ad-hoc-Gruppe Werbekommunikation in der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und KommunikationswissenschaftDGPuK
Veranstaltungsort: Universität Würzburg
Datum: 22.11.2012 bis 23.11.2012

Weiterführende Links:
http://www.werbekommunikation.org/
mw.hdm-stuttgart.de/~baetzgen/?p=3586
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Jörg Tropp

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