Aufsatz

Radio macht Freunde

Wie die britische Besatzungsmacht mit dem Truppensender BFBS den Deutschen westliche Popkultur beibrachte (und sie so auch ein bisschen umerzog)

Oliver Zöllners Abhandlung zum Truppensender BFBS erschien im Sammelband 'Briten in Westfalen. Besatzer, Verbündete, Freunde?' (Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn; Foto: Oliver Zöllner).
Oliver Zöllners Abhandlung zum Truppensender BFBS erschien im Sammelband 'Briten in Westfalen. Besatzer, Verbündete, Freunde?' (Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn; Foto: Oliver Zöllner).

In einem wissenschaftlichen Sammelband zur regionalen Nachkriegsgeschichte Deutschlands ist ein Aufsatz von HdM-Professor Oliver Zöllner erschienen, in dem er die Geschichte des britischen Truppensenders BFBS nachzeichnet. Der "British Forces Broadcasting Service" wird dabei als Vehikel britischer Public Diplomacy identifiziert, also als ein Instrument popkultureller "Soft Power", das sich eigentlich niemals an deutsche Zivilisten richtete und dennoch mehr für die Verwestlichung der deutschen Bevölkerung im Empfangsgebiet beigetragen haben dürfte als so manche andere offizielle Umerziehungs- oder Marketing-Kampagne.

Im Juli 1945 nahm das damalige "British Forces Network" (BFN) von Hamburg aus seine Ausstrahlungen auf. Zielgruppe waren die britischen Besatzungstruppen an Elbe, Rhein und Weser. Doch von Anfang an hörten auch Deutsche als "Zaungäste" mit - und entdeckten für sie oft ungewohnte Klänge: Swing, Jazz, später Pop, Reggae und Techno. Der BFBS (British Forces Broadcasting Service, wie der Sender ab 1964 heißen sollte) war für viele speziell junge Hörer ein Kultsender. In der Frühphase des Senders gründeten manche junge Leute sogar eigene lokale Hörerclubs und erlebten mit Hilfe der Truppenradios einen neuen Lebensstil. Vorgesehen war dies offiziell nicht, trug aber mit dazu bei, aus Besetzten (und ehemaligen Feinden) Freunde zu machen.

BFBS als "Public Diplomacy"

Militärsender wie BFBS lassen sich unschwer de facto als Maßnahme der "Public Diplomacy" identifizieren: als eine Art PR der Besatzungs­macht und späteren Bündnis­partners, der sich damit an die deutsche Bevölkerung wendete und ihnen auf leichte, im wahrsten Sinn des Wortes "beschwingte" Art und Weise ein etwas weicheres Bild Großbritanniens vermittelte. Damit hat sie bei weitem nicht alle Deutsche erreicht, aber speziell für viele junge Menschen war der BFBS (oder sein Pendant in der US-Zone, das "American Forces Network", AFN) ein willkommenes Fenster in die weite Welt. Man kann auch sagen: ein Rückanschluss an die Moderne, die der National­sozialismus und auch der Muff der Nachkriegszeit so lange unterbrochen hatten. Die Militär­sender, so lässt sich argumentieren, trugen erheblich mit zur "Westernisierung" bzw. kulturellen Westbindung der jungen Bundesrepublik bei. Nicht zuletzt war dies nach dem Zweiten Weltkrieg auch ein Beitrag zur Umerziehung (re-education) der Deutschen.

Vorbild für deutsche Sender

Dieser Trend zur Vermittlung westlicher Werte via Popkultur lässt sich auch für die Folgezeit feststellen. Rock 'n' Roll, Beatlemania und die "Pop-Explosion" der späten 1960er-Jahre fanden auf deutschen Ätherwellen zunächst fast nur bei den Militär­radios statt. Die öffentlich-rechtlichen ARD-Wellen taten sich mit Musik für junge Leute lange schwer und standen daher in einem permanenten Konkurrenz­kampf mit AFN und BFBS; hinzu kamen aus dem Ausland einstrahlende Sender wie Radio Luxemburg (seinerzeit eine echte Größe!) auf Mittelwelle oder in Südbayern Ö3 aus Österreich. Erst in den 1970er-Jahren trauten sich erste ARD-Sender, eigene durchforma­tierte Jugendwellen einzurichten (der Südwestfunk etwa mit SWF 3). NDR und WDR starteten ihre Jugendwellen N-JOY bzw. 1Live gar erst in den 1990er-Jahren.

In der Zwischenzeit versorgten die Militärsender viele junge Hörerinnen und Hörer mit Musik direkt aus den Zentren der Popkultur. Um bestimmte Programme des BFBS formierten sich geradezu kultische Fangemeinden, etwa die Techno/EDM-Szene um "The Steve Mason Experience" oder Reggae-Anhänger um "Rodigan's Rockers". Mitschnitte dieser wöchentlichen Shows werden heute im Internet getauscht und gehandelt. Vielen älteren Deutschen ist auch noch der Sänger, Moderator und Entertainer Chris Howland gut im Gedächtnis, der seine Medienkarriere bei BFN/BFBS in Deutschland begonnen hatte und über Jahrzehnte als inoffizieller Markenbotschafter (brand ambassador) seines Heimatlandes fungierte. Howland alias "Mr. Heinrich Pumpernickel" brachte als "Brite vom Dienst" ab den 1950er-Jahren ein bisschen Internationalität in deutsche Hitparaden und auf die hiesigen Bildschirme. Ein schönes Beispiel für einen Kulturtransfer.

BFBS sendet bis heute

Der British Forces Broadcasting Service bildet mit seinem Radio- und TV-Sendernetz heute in etwa das alte British Empire ab und hat Studios von den Falkland-Inseln bis Zypern. In Deutschland residierte er zuletzt im Kasernenkomplex von Paderborn-Sennelager. Hier auch endet 2019 mit dem Abzug der letzten verbliebenen Soldaten die hiesige BFBS-Ära, nachdem der Sender bis 2010 über eine leistungs- und reichweitenstarke UKW-Frequenz u.a. noch fast ganz Nordrhein-Westfalen abgedeckt hatte. Über diese Frequenz freut sich seither Deutschlandfunk Kultur. Die Zeiten ändern sich. Daher ein Lob der Digitalisierung: Im Internet kann man BFBS auch in Deutschland problemlos weiterhin hören.

Oliver Zöllner greift mit dem hier vorgestellten Buchbeitrag seine Dissertation von 1996 auf und entwickelt sie gewohnt fußnotenverliebt weiter. Während sich seine Doktorarbeit ("BFBS: 'Freund in der Fremde'. British Forces Broadcasting Service [Germany] – der britische Militär­rundfunk in Deutsch­land", Göttingen: Cuvillier-Verlag, 1996) ganz auf das eigentliche Zielpublikum des Militärrundfunks konzentrierte, also die britischen Soldatinnen und Soldaten, legt er nun den Fokus auf zivile deutsche Hörerinnen und Hörer und die Funktionen, die der Militärrundfunk für sie auf der Mikro- und Makroebene hatte und hat. Und natürlich schrieb Zöllner quasi nebenbei die Geschichte des BFBS weiter, die 2019 ihren historischen Abschluss findet.

 

Zöllner, Oliver (2019): Großbritanniens Militärrundfunk und die "Westernisierung" deutscher Hörer. Der British Forces Broadcasting Service (BFBS) als nicht intendierte Maßnahme britischer Public Diplomacy. In: Peter E. Fäßler / Andreas Neuwöhner / Florian Staffel (Hrsg.): Briten in Westfalen. Besatzer, Verbündete, Freunde? (= Reihe: Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte, Bd. 86). Paderborn: Schöningh, S. 290-320. DOI: 10.30965/9783657792504_014. Link zum Buch (Verlagsinformationen): www.schoeningh.de/katalog/titel/978-3-506-79250-1.html


Erschienen in:

Briten in Westfalen. Besatzer, Verbündete, Freunde? (= Reihe: Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte, Bd. 86)
Auf den Seiten: 290-320
Autoren: Zöllner, Oliver
Hrsg.: Peter E. Fäßler, Andreas Neuwöhner & Florian Staffel
Erscheinungsjahr: 2019
Verlag: Schöningh
Ort: Paderborn

Weiterführende Links:
Vorschau des Aufsatzes bei Brill.com


Autoren

Name:
Prof. Dr. Oliver Zöllner  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
Funktion:
Professor
Lehrgebiet:
Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
Raum:
216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Telefon:
0711 8923-2281
Telefax:
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