Der britische Truppenrundfunk BFBS als symbolische Repräsentanz Großbritanniens in Deutschland
Von Oliver Zöllner
Manchmal geht die Mediengeschichte seltsame Wege. Sender kommen und gehen, doch manche von ihnen hinterlassen ein großes Erbe – auch wenn den meisten Menschen dies erst in der Rückschau bewusst wird. Ein solcher Sender ist der "British Forces Broadcasting Service" (BFBS), der britische Militärrundfunk. Zusammen mit seinem amerikanischen Pendant, dem "American Forces Network" (AFN), hatte er gewichtigen Einfluss auf das deutsche Mediensystem. 2019 wird der BFBS nach über 70 Jahren wohl aus Deutschland abziehen. Ein Grund für HdM-Professor Oliver Zöllner, am 11. März 2017 auf Einladung der Universität Paderborn dort einen Vortrag zu halten zum Thema "Die symbolische Repräsentanz Großbritanniens durch Militärrundfunk: BFBS Germany und seine Publika".
Eingeladen hatten ihn die Paderborner Historiker, die auf ihrer Tagung "Briten in Westfalen. Begegnungen - Beziehungen - Geschichte (1945-2017)" auf die vielschichtigen Interaktionen zwischen der britischen Besatzungsmacht (ab 1945) bzw. ab 1955 den britischen NATO-Stationierungstruppen und den Einwohnern der Region Westfalen blickten. Obwohl sich der Truppenrundfunk offiziell stets nur an die britischen Militärangehörigen richtete (selbst in ihrer Hochphase wohl kaum mehr als 100.000 Personen in Nordwestdeutschland), hatte der BFBS als Medium der Populärkultur enormen Einfluss auf ein Sengebiet, das rund 15 Millionen Deutsche umfasste: Als die ARD-Sender noch einem recht weitgehenden "Popverbot" unterlagen, spielte der BFBS bereits die Beatles, Rolling Stones, Jimi Hendrix und andere Größen. Kein Wunder, dass das deutsche "Zaunpublikum" – vor allem jüngere Menschen – ihre popmusikalische Bildung vom Truppenradio erhielt. Auch AFN und das deutsche Programm von Radio Luxemburg sind hier zu nennen.
ARD-Hörfunk in Konkurrenz zu exterritorialen Militärsendern
Die ARD-Sender zogen in dieser Konkurrenzlage erst in den 1970er-Jahren mit eigenen Popformaten im Hörfunk nach, am konsequentesten sicher der Südwestfunk ab 1975 mit seiner Popwelle SWF 3, der Westdeutsche Rundfunk im Kern erst 1995 mit seiner Jugendwelle 1Live. Radio Bremen hatte von 1965 bis 1972 die legendäre Fernseh-Musikshow "Beat-Club" im Programm. BFBS hatte für Deutschland gewissermaßen die Funktion, die die von der Nordsee einstrahlenden Piratensender (Offshore radios) für die etwas starre BBC in Großbritannien hatten: als ein von außen wirkender Innovator. Die BBC reagierte auf die exterritoriale Konkurrenz immerhin schon 1967 mit der Einführung der Popwelle Radio 1.
Zöllner machte in seinem Vortrag deutlich, dass der BFBS, obwohl er sich offiziell nie an ein ziviles deutsches Publikum richtete, durchaus als eine Maßnahme der "Public Diplomacy" Großbritanniens interpretiert werden kann, also eine Form der kulturpolitischen Öffentlichkeitsarbeit, die sehr erfolgreich und vor allem nachhaltig war: Der BFBS hat mit seiner lockeren Art der Vermittlung von Popmusik und britischer Kultur stark zur "Westernisierung" und Westbindung der Bundesrepublik beigetragen und damit Generationen von jüngeren Rezipienten geprägt. Man darf in diesem Kontext nicht vergessen, dass die Verunglimpfung der Jazz- und Swingmusik durch die Nationalsozialisten in Deutschland noch sehr lange nachwirkte und das zwiespältige Verhältnis älterer Generationen zur anglo-amerikanischen Popmusik erklärt.
BFBS als Public Diplomacy
Die symbolische Präsenz und Repräsentanz Großbritanniens in Deutschland durch den BFBS war sicher erfolgreicher als offizielle (und viele würden sagen: aufgesetzte) Nation-Branding- und Public-Diplomacy-Kampagnen des Vereinigten Königreiches wie z.B. "Cool Britannia" unter der Regierung Blair (um 1997/98), und erreichte ohne Zweifel regelmäßig ein größeres Publikum als der BBC World Service (bis 1999 auch mit einem deutschen Programm on air) oder das British Council mit seinen Veranstaltungen. Diese Institutionen haben allesamt mit dazu beigtragen, nach dem Zweiten Weltkrieg aus Feinden Partner und Freunde zu machen.
Nicht zuletzt im Sendegebiet des BFBS Germany waren es spezialisierte Musikshows wie "John Peel's Music" (Postpunk/Indie), "The Steve Mason Experience" (Electronic Dance Music) oder "Rodigans's Rockers" (Reggae/Dancehall), die in Deutschland zur Formierung von entsprechenden ausgeprägten Nischen- bzw. Subkulturen beigetragen haben. Mitschnitte dieser Sendungen werden bis heute im Internet gehandelt und haben geradezu auratischen Kultstatus.
Britischer Truupenrundfunk im Wandel der Zeit
Heute strahlt der British Forces Broadcasting Service in Deutschland zwei Hörfunkprogramme (BFBS 1 und 2) sowie ein Fernsehprogramm (BFBS TV) aus, die aber weitgehend nur im Umfeld britischer Kasernen zu empfangen sind. 2019 sollen die britischen Streitkräfte weitgehend aus Deutschland abgezogen sein, so dass dann auch das medienhistorische Kapitel "BFBS Germany" endet. Seinen größten Einbruch hatte das Truppenradio, was die deutsche shadow audience anbelangt, wohl bereits 2010, als es die sehr leistungsstarke Frequenz 96,5 MHz des Senders Langenberg am Südrand des Ruhrgebietes an das Deutschlandradio abtreten musste.
Seitdem müssen die meisten Zivilisten auf das Internet oder die (frei verfügbare) BFBS-App zurückgreifen, wollen sie den Sender hören. Seit Jahrzehnten ist der British Forces Broadcasting Service ein weltumspannendes Netz, das derzeit für britische Truppen lokal in Afghanistan, Brunei, auf den Falkland-Inseln, in Gibraltar, Großbritannien und Nordirland, im Irak, auf Zypern und auf den Schiffen ihrer Majestät sendet – oder wo auch immer britische Truppen gerade im Einsatz sind. Das ist durchaus eine kleine Wiederspiegelung des britischen Empire. 1994 schloss der BFBS bereits sein Sendestudio in Berlin, 1997 in Hongkong. Die Schließung der heutigen Deutschland-Sendezentrale in Paderborn-Sennelager 2019 ist für Deutschland gewissermaßen ein doppelter Brexit.
Oliver Zöllner lehrt an der Hochschule der Medien empirische Forschungsmethoden, Mediensoziologie, Hörfunkjournalismus, internationale Kommunikation sowie Public Diplomacy und Nation Branding. Mit seiner Dissertation "BFBS: 'Freund in der Fremde" wure er 1996 an der Universität Bochum promoviert.
Der obige Vortrag erscheint im Herbst 2018 in erheblich erweiterter Form unter dem Titel "Großbritanniens Militärrundfunk und die 'Westernisierung' deutscher Hörer. Der British Forces Broadcasting Service (BFBS) als nicht intendierte Maßnahme britischer Public Diplomacy" im folgenden Sammelband: Peter E. Fäßler/Andreas Neuwöhner/Florian Staffel (Hrsg.): Briten in Westfalen (1945-2017). Besatzer, Verbündete, Freunde? (= Reihe: Studien und Quellen zur Westfälischen Geschichte, Bd. 86). Paderborn: Schöningh [Verlagsinformation zum Buch].
Literatur (Auswahl):
Grace, Alan (1993): Battledress Broadcasters. Fifty Years of Forces Broadcasting. Chalfont: SSVC.
Grace, Alan (1996): This Is the British Forces Network. The Story of Forces Broadcasting in Germany. Stroud: Sutton.
Grace, Alan (2003): The Link With Home. Sixty Years of Forces Radio. Chalfont: SSVC.
Grull, Günter (2000): Radio und Musik von und für Soldaten. Kriegs- und Nachkriegsjahre, 1939-1960. Köln: Herbst.
Morley, Patrick (2001): "This Is the American Forces Network". The Anglo-American Battle of the Air Waves in World War II. Westport, London: Praeger.
Rumpf, Wolfgang (2007): Music in the Air. AFN, BFBS, Ö3, Radio Luxemburg und die Radiokultur in Deutschland. Berlin: Lit.
Schäfers, Anja (2014): Mehr als Rock ’n‘ Roll. Der Radiosender AFN bis Mitte der sechziger Jahre. Stuttgart: Steiner.
Speiser, Peter (2016): The British Army of the Rhine: Turning Nazi Enemies into Cold War Partners. Urbana, Chicago, Springfield: University of Illinois Press.
Taylor, Doreen (1983): A Microphone and a Frequency. Forty Years of Forces Broadcasting. London: Heinemann.
Zöllner, Oliver (1994): "Written on the Wall". Vom Ende des britischen Militär-Rundfunks in Berlin. In: Studienkreis Rundfunk und Geschichte. Mitteilungen, 20. Jahrg., Nr. 4, S. 222-224.
Zöllner, Oliver (1996): BFBS: "Freund in der Fremde". British Forces Broadcasting Service (Germany) – der britische Militärrundfunk in Deutschland. Göttingen: Cuvillier.
Zöllner, Oliver (1996): British Forces Broadcasting Service in Germany: A "Friend" Abroad. In: Communications, Vol. 21, No. 4, S. 447-466.
Zöllner, Oliver (Hrsg.) (1997): BFBS verbatim. Eine Dokumentation von Forschungsinterviews und Programmanalysedaten des britischen Militärsenders BFBS. Bochum: Paragon-Verlag.
Zöllner, Oliver (1997): Organisationskommunikation in Streitkräften. Der britische Militärrundfunk BFBS als Medium der internen Public Relations. In: Rundfunk und Fernsehen, 45. Jahrg., Nr. 3, S. 336-350.
Zöllner, Oliver (1997): Britisches Truppenfernsehen mit neuem Namen. Kleiner Aufriß seiner Geschichte. In: Rundfunk und Geschichte, 23. Jahrg., Nr. 2/3, S. 152-154.
Zöllner, Oliver (1997): Abschied von Hongkong. BFBS schließt Studio in der Kronkolonie. In: Rundfunk und Geschichte, 23. Jahrg., Nr. 4, S. 253-254.
Zöllner, Oliver (2004): 60 Jahre BFBS. Hörfunk und Fernsehen für britische Soldaten weltweit. In: Rundfunk und Geschichte, 30. Jahrg., Nr. 1/2, S. 47-49.
Vortrag auf Veranstaltung: Briten in Westfalen. Begegnungen - Beziehungen - Geschichte (1945-2017)
Veranstaltungsort: Universität Paderborn
Datum: 09.03.2017 bis 11.03.2017
Weiterführende Links:
Tagungsprogramm "Briten in Westfalen. Begegnungen - Beziehungen - Geschichte (1945-2017)"
Zur Website von BFBS
Autoren
- Name:
- Prof. Dr. Oliver Zöllner
- Forschungsgebiet:
- Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
- Funktion:
- Professor
- Lehrgebiet:
- Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
- Studiengang:
- Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
- Fakultät:
- Fakultät Electronic Media
- Raum:
- 216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
- Telefon:
- 0711 8923-2281
- Telefax:
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- E-Mail:
- zoellner@hdm-stuttgart.de
- Homepage:
- https://www.oliverzoellner.de
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