Place Branding, Nation Branding und seine Grenzen
Ein Interview zu kritischen Fragen der Profession
In einem Interview mit dem internationalen Online-Fachportal The Place Brand Observer äußert sich HdM-Professor Oliver Zöllner kritisch zum Praxis- und Forschungsfeld "Place Branding". Viel zu oft, so legt er dar, sei die Stadt, Region oder das Land als "Marke" zu stark konstruiert und laufe Gefahr, die Bodenhaftung zu verlieren – vor allem, wenn die Bevölkerung und ihre alltäglichen Realitäten zu wenig Niederschlag in der Markenstory fänden. "Fanciful stories straight from cloud cuckoo land, as beautifully concocted as they may read at first sight, won't make anyone appreciate the place in the long run", so Zöllner im Interview.
Wichtig sei es, der Geschichte und den Geschichten des Ortes gerecht zu werden: Welche Identitäten spiegeln sich in ihm, welche Bedeutungen können herausgelöst werden? Deutschland sei hierfür ein gutes Beispiel, meint Zöllner. Wie kann man externen Zielgruppen eine Vorstellung von diesem Land vermitteln, die dem Land und seiner Bevölkerung gerecht wird? Welche "Markengeschichte" bezieht auch die Historie Deutschlands angemessen ein – eine Geschichte, die ja wahrlich komplex und voller teils gewaltsamer Brüche ist? Zöllner legt dar, dass Deutschland dies über Jahrzehnte redlich versucht hat, aber seinen größten Branding-Erfolg im Grunde mit der Ausrichtung der Fußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2006 erzielt habe. Dieses sportliche Großereignis habe die internationale Wahrnehmung von Deutschland als strenges, unfreundliches Land um 180 Grad gedreht.
Deutschlands "Sommermärchen" 2006 und seine Auswirkungen auf das Nation Branding
Dabei, so gibt Oliver Zöllner zu bedenken, habe das Land vor allem sehr viel Glück mit dem Wetter gehabt. "I always wonder how things might have turned out had it rained for weeks on end during that summer in 2006: would there have been all those parties at public screenings, all those jolly faces, that wonderfully relaxed atmosphere broadcast the world over?" Natürlich wurde die Fußball-WM als Public-Diplomacy-Maßnahme jahrelang im Voraus geplant, aber wie sie als "Storytelling-Ereignis" ausgehen würde, war kaum vorauszuplanen (von den Spielergebnissen ganz zu schweigen). Aber es ist gutgegangen und hat positive längerfristige Auswirkungen – bis heute: "That four-week football event initiated a reappreciation of the country that is still ongoing and that does not ignore, overwrite or replace Germany's evil Nazi past, but allows for an unbiased, contemporary, second look at the country." Und es erklärt zum Beispiel die seither enorm gestiegene Popularität von Berlin als Destination – zumindest als ein zentraler Faktor neben anderen.
Was ist eigentlich "erfolgreiches" Place Branding?
Weitere Themen des Interviews sind die Unterschiede und Abgrenzungen zwischen Branding und Marketing, die Rolle von Diasporas im Nation Branding sowie die ethischen Dilemmata, die sich ergeben, wenn Place-Branding-Kampagnen zu stark auf Online-Plattformen setzen. Zöllner sieht auch die Rolle des Branding bei der "nachhaltigen Entwicklung" von Orten, Regionen oder Ländern kritisch. Ist "Nachhaltigkeit" nicht allzu oft ein reines Modeetikett? Wer profitiert eigentlich vom Aufschwung, der sich möglicherweise etwa dank Tourismus oder Investitionen vollzieht? "Seeing your place develop a better image, or offering more accommodation to tourists, or turning into a hot spot for global investors sounds nice, but brand value is nothing to feed a family on, or pay the rent [...]." Und nicht immer trägt der "Erfolg" eines als "hip oder "cool" markierten Ortes zur Lebensqualität aller Bewohner bei – man denke auch hier an Berlin und die dortigen Auseinandersetzungen in manchen Kiezen mit den vielen "Rollkoffer-Touristen", ausufernden Parties und einer zu beobachtenden Gentrifizierung. Irgendwann kann sich eine erfolgreiche Markenbildung auch in ihre Nemesis verkehren.
Als Sozialwissenschaftler gibt Oliver Zöllner abschließend eine vielleicht skeptische, vor allem aber realistische Einschätzung der Möglichkeiten, überhaupt den "Erfolg" oder die "Effektivität" von Branding-Kampagnen zu evaluieren. Was heiße eigentlich "Erfolg", mit welchen Variablen sei er zu messen? "There are simply too many factors and variables that influence the perception, image or brand of a place – too many to control in a single survey", meint Zöllner und plädiert ergänzend nicht zuletzt für qualitativ orientierte Evaluationsverfahren: "In addition, one shouldn't overlook qualitative analyses based on in-depth interviews, focus groups and the like that can give additional insights into the perception of a place."
Oliver Zöllner lehrt den Kurs "Public Diplomacy and Nation Branding" an der HdM in den Master-Studiengängen Medienmanagement und Unternehmenskommunikation. Einen ähnlichen Kurs bietet er gelegentlich auch an der Universität Düsseldorf an, wo er als Honorarprofessor tätig ist. Zöllners Literaturlisten zu Public Diplomacy und zu Nation Branding finden sich bei The Place Brand Observer – oder kombiniert als Dokument zum Kurs hier.
Weiterführende Links:
The Place Brand Observer: Interview with Oliver Zöllner of Stuttgart Media University, Germany
Autoren
- Name:
- Prof. Dr. Oliver Zöllner
- Forschungsgebiet:
- Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
- Funktion:
- Professor
- Lehrgebiet:
- Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
- Studiengang:
- Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
- Fakultät:
- Fakultät Electronic Media
- Raum:
- 216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
- Telefon:
- 0711 8923-2281
- Telefax:
- 0711 8923-2206
- E-Mail:
- zoellner@hdm-stuttgart.de
- Homepage:
- https://www.oliverzoellner.de
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