Wie eine Pose des Erfolgs das Scheitern einer Monarchie überschreibt
Eine bilddokumentarische Analyse
Am 18. August 2018 hielt HdM-Professor Oliver Zöllner einen Vortrag an der Universität Rostock. In ihm nahm er eine Fotografie nach Regeln der Kunst (und der Sozialforschung) auseinander. Die britische Monarchie lächelte dazu.
Keywords: Dokumentarische Analyse, Habitus, Pose, Ikonologie, Ikonographie, Ikonik, Großbritannien, Monarchie, Herrschaft, Public Diplomacy, Nation Branding
In seinem Vortrag analysierte Oliver Zöllner ein alltägliches und recht banales Medienprodukt – ein PR-Foto – mit den Mitteln der qualitativen Bildinterpretation nach Bohnsack (2011). Das Foto der Fallstudie zeigt Prinz William, den Herzog von Cambridge, und seine Frau Catherine (Kate) kurz nach der Geburt ihres ersten Sohnes, wie sie scheinbar privat für den Vater der Herzogin posieren. Dieses Foto wurde, als freies "Handout" an die Presse lanciert, 2013 zu einem weltweit verbreiteten Medienphänomen. Es gilt inzwischen als "ikonisch". Es wurde in dem Vortrag folgerichtig im methodischen Dreischritt einer ikonografischen, ikonologischen und ikonischen Interpretation nach Panofsky (1955) und Imdahl (1980) präsentiert und als ein Dokument seines Entstehungsprozesses und seiner Verwertungsinteressen analysiert.
Im Kern untersuchte der Vortrag, welche Art von Herrschaft in dem lancierten Pressebild konstruiert wird und welche Posen des Erfolgs (inklusive ihrer persuasiven Elemente) hierfür eingesetzt werden. Hintergründig "überschreibt" dieses Bild, so die These, die große Krise der britischen Monarchie in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren im Nachgang zur medialen Schlammschlacht rund um das Elternpaar von Prinz William, Charles und Diana. Die britische Königin sprach 1992 von einem "annus horribilis" für die Monarchie, also einem großen Scheitern dieser symbolischen Herrschaft.
Ein Bild kann als Dokument oder "Text" seines Entstehungsprozesses in einer spezifischen historischen bzw. sozialen Situation verstanden werden. In ihm spiegeln sich die kulturellen Praktiken dieses Entstehungskontextes wieder, also etwa Posen, Verhaltensweisen, Rituale, Ordnungen oder Machtverhältnisse. Ein Bild im Sinne der "dokumentarischen Methode" (Bohnsack 2010; Bohnsack 2011) kann – im Rückgriff auf den Kunsthistoriker Erwin Panofsky und den Wissenssoziologen Karl Mannheim – als Dokument für den "Habitus" oder gesellschaftlich eingeschriebenen "Wesenssinn" einer einzelnen Person, einer Gruppe, eines Kollektivs, eines Milieus oder auch einer Epoche verstanden werden. Ebendieser Habitus wurde in Zöllners Vortrag in seinen vielfältigen Bezügen über das einzelne Bilddokument hinaus analysiert.
Eine formal-planimetrische Analyse des Bildes (siehe oben) im Sinne Imdahls (1980) macht deutlich, dass das Foto, obwohl es wie ein privater Schnappschuss anmutet und als solcher deklariert ist, perfekt komponiert erscheint. Wie die applizierten Feldlinien zeigen, sitzt das herzogliche Paar genau in der Mitte des Bildes. Seine lächelnden Münder sind auf einer Linie mit den scharfen horizontalen Begrenzungen, die die Unterkanten der Büsche und des Baumwerks im Hintergrund bilden. Dort ist das obere Viertel des Fotos verortet, in dem auch isokephalisch, also auf gleicher Höhe und damit Wertigkeit, die Köpfe des jungen Paares zu sehen sind. Die planimetrischen Linien, die man in das Foto einzeichnen kann, haben eine dynamisch himmelwärts strebende Richtung: Sie bilden ganz klassisch ein Dreieck, an dessen Spitze die Köpfe des Paares zu sehen sind. Eine weitere Linie kann am Körper des von der Mutter schräg im Arm gehaltenen Kindes entlang gezogen werden. Diese schräge Line trifft sich oben links mit der Horizontalachse an einem besonders gleißend sonnenbeschienenen Stück des Rasens, dessen Glanz in diesem Bildsegment in Catherines gut frisierte Haarwellen übergeht. Hier leuchtet alles sehr hell. Hier ist die Zukunft: der Kernfamilie an sich, der Familie und Dynastie Windsor, der Monarchie in Großbritannien. Williams gut sichtbare Armbanduhr unterstreicht den Temporalitätsbezug dieser Bildrhetorik: den überzeitlichen Anspruch der Szene, konkret die Kontinuität der Dynastie Windsor von William zu George.
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Der Vortrag wird in überarbeiteter und erweiterter Form 2019 im Sammelband "Das Bild in der Metapher. Bilder des Erfolgs – Bilder des Scheiterns" (hrsg. von Matthias Junge) bei Springer VS erscheinen.
Vortrag auf Veranstaltung: Tagung 'Bilder des Erfolgs - Bilder des Scheiterns' der Ad-hoc-Gruppe Soziale Metaphorik der Sektion Wissenssoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS)Veranstaltungsort: Universität Rostock
Datum: 17.08.2018 bis 18.08.2018
Weiterführende Links:
Tagungsprogramm 'Bilder des Erfolgs - Bilder des Scheiterns'
"Prince William and Kate release family snapshots of baby George" (Reuters)
Jonathan Jones: "The royal baby pictures show privilege trying, and failing, to look normal" (The Guardian)
Autoren
- Name:
- Prof. Dr. Oliver Zöllner
- Forschungsgebiet:
- Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
- Funktion:
- Professor
- Lehrgebiet:
- Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
- Studiengang:
- Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
- Fakultät:
- Fakultät Electronic Media
- Raum:
- 216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
- Telefon:
- 0711 8923-2281
- Telefax:
- 0711 8923-2206
- E-Mail:
- zoellner@hdm-stuttgart.de
- Homepage:
- https://www.oliverzoellner.de
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