Vortrag

Posting Your Children's Pictures on Social Media

On Autonomy and Choice in a Publicly Private Realm

Das Symposium 'The Culture of Privacy and Data Protection in the EU and the U.S.' am 9. März 2016 an der Universität Frankfurt am Main (Logo: Stiftung Datenschutz, Scan: Oliver Zöllner)
Das Symposium 'The Culture of Privacy and Data Protection in the EU and the U.S.' am 9. März 2016 an der Universität Frankfurt am Main (Logo: Stiftung Datenschutz, Scan: Oliver Zöllner)

Die Auffassungen von Privatheit und Datenschutz sind in europäischen Ländern und in den USA extrem unterschiedlich ausgeprägt – und selbst innerhalb beider Rechtsräume gibt es teilweise beträchtliche Differenzen. Geht man, grob gesprochen, in Westeuropa eher von Abwehrrechten des Bürgers gegen einen potenziell übermächtigen, datensammelwütigen Staat aus, befremdet diese Position viele Amerikaner, die in ihr bloß den Versuch sehen, legitime Interessen von Unternehmen protektionistisch zu behindern. Umgekehrt sehen viele Europäer insbesondere in der exzessiven Datensammlung und -auswertung auf Seiten amerikanischer Unternehmen (von US-Geheimdiensten ganz zu schweigen) eine Gefahr für die Freiheit von Individuum und Gesellschaft.

Diese konträren Auffassungen waren Anlass für die Stiftung Datenschutz, ein Symposium zum Thema "Privatheits- und Datenschutzkulturen" auf beiden Seiten des Atlantiks abzuhalten. Ort des Geschehens war die Universität Frankfurt am Main - mit Bedacht gewählt, denn immerhin war es das Land Hessen, das 1970 das erste Datenschutzgesetz überhaupt erlassen hatte.

In seinem Vortrag "Posting Your Children's Pictures on Social Media: On Autonomy and Choice in a Publicly Private Realm" wählte HdM-Professor Oliver Zöllner die weithin diskutierte Aufforderung einer deutschen Polizeibehörde an Eltern, keine Kinderbilder mehr bei Facebook und Co. zu posten, als Aufhänger für eine breitere Diskussion informationeller Fremdbestimmung und des Verhältnisses von Privatheit und Öffentlichkeit. Seine Thesen:

1) Under the conditions of Big Data, the private sphere has become a part of the public domain – we're increasingly publicly private.

2) We mistake "things that should be hidden" for "things that should be shown".

3) This fuzzy nature of our publicly private utterances has been fostered by concepts of new relational and disinhibited selfhoods.

4) We need to come to terms with the idea of "relational selfhood" and strive for new, ethically grounded excellence (virtues).

5) For this, we need to (re-)politicize the idea of privacy, i.e. place it in the public realm.

Als theoretische Basis für seine Ausführungen zog Zöllner die Überlegungen der Philosophin Hannah Arendt zur öffentlichen und privaten Sphäre aus Kapitel 2 ihres grundlegenden Werkes "The Human Condition" von 1958 heran (dt.: "Vita activa oder Vom tätigen Leben", 1960). Arendt legt darin dar, dass in der Moderne eine Verschmelzung oder Überlappung der beiden klassischen Sphären Privatheit und Öffentlichkeit stattgefunden habe und die Menschen sich unter diesen neuen Bedingungen auch in den Verrichtungen ihres Alltags entsprechend anders verhielten. Nun seien es private Dinge, die ihr Bewusstsein dominierten und in die Öffentlichkeit drängten; zugleich würden die öffentlichen Belange privatisiert, mithin also entpolitisiert.

Genau in dieser paradoxen Zwischenwelt positionierte Zöllner die bei Facebook geposteten Kinderbilder und zeigte die vielfältigen Problematiken dieser weit verbreiteten sozialen und kulturellen Alltagspraxis auf. Als Erkläransatz für dieses oft problematische (Preisgabe detaillierter Daten, Persönlichkeits- und Verbreitungsrechte, beschnittene Entfaltungsmöglichkeiten der Kinder) und teilweise durchaus gefährdende Verhalten der Eltern (Identitätsdiebstahl, Cybermobbing, Stalking, sexuelle Übergriffe u.a.) griff Zöllner auf die These des Medienethikers Charles Ess (2014) zurück, die Menschen lebten im digitalen Zeitalter zunehmend als "relationale" Wesen, die sich in ihren Handlungen mehr und mehr an den Handlungen anderer Menschen im Netz orientierten – bzw. zunehmend eben auch an den Entscheidungen von Algorithmen. Insofern ist zu konstatieren, dass hier eine neue Art kultureller Prägung vorliegt; viele Eltern posten Bilder ihrer Kinder, ohne darüber nachzudenken und ohne sich der längerfristigen Konsequenzen bewusst zu sein (nach dem Motto: "Es ist doch nichts dabei").

Zöllner unterfütterte die These vom allmählichen Übergang vom autonomen, individuellen Selbst hin zum relationalen Selbst mit den Ausführungen des Cyberpsychologen John Suler (2016), der kongenial eine neue Prägung des Menschen im Sinne eines in Online-Kontexten "enthemmten" Selbst sieht: Menschen wähnten sich im Netz unbeobachtet und "privat" und posteten entsprechend relativ ungehemmt auch privateste oder intime Details ihres Lebens, oftmals sogar in Kenntnis problematischer exzessiver Speicherung, Weitergabe und Auswertung von Daten durch Unternehmen und Behörden.

Oliver Zöllner kam in seinem Vortrag zu dem Schluss, dass es einer verstärkten gesellschaftlichen Debatte um Datenschutz und Privatheit bedürfe und dass dieser Diskurs in den politischen Raum getragen werden müsse: Ganz im Sinne Hannah Arendts müsse diese Debatte um das "gelingende Leben" politisch geführt werden; es geht eben nicht bloß um Privatangelegenheiten von Individuen und ihr privates Glück, sondern um das Gelingen und Erblühen der Gesellschaft insgesamt. Mit Rückgriff auf Arendt, Ess und jüngst Brunton/Nissenbaum (2015) gab Zöllner am Ende ein Plädoyer für eine neu verstandene Tugendethik im Sinne eines Strebens nach höheren Werten ab: Es umfasst die informationelle Selbstbestimmung von Kindern, und dabei eben auch den Schutz von Daten und Privatheit, als Aufgabe für jeden Einzelnen wie auch für das Staatswesen als ganzes. Wir müssen neu lernen, uns in der Cyberwelt angemessen zu verhalten.

 

Quellen:

Arendt, Hannah (1958): The Human Condition. Chicago: Chicago University Press.

Brunton, Finn & Nissenbaum, Helen (2015): Obfuscation: A User's Guide for Privacy and Protest. Cambridge, London: MIT Press.

Ess, Charles (2014): Selfhood, Moral Agency, and the Good Life in Mediatized Worlds? Perspectives From Medium Theory and Philosophy. In: Knut Lundby (ed.): Mediatization of Communication. Berlin, Boston: de Gruyter Mouton, pp. 617-640.

Gardner, Howard & Davis, Katie (2013): The App Generation: How Today's Youth Navigate Identity, Intimacy, and Imagination in a Digital World. New Haven, London: Yale University Press.

Nissenbaum, Helen (2010): Privacy in Context: Technology, Policy, and the Integrity of Social Life. Stanford: Stanford Law Books.

Suler, John R. (2016): Psychology of the Digital Age: Humans Become Electric. New York: Cambridge University Press.

 

Vortrag auf Veranstaltung: Symposium 'The Culture of Privacy and Data Protection in the EU and the U.S.'
Veranstaltungsort: Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main
Datum: 09.03.2016

Weiterführende Links:
Website des Instituts für Digitale Ethik an der Hochschule der Medien Stuttgart
Der Vortrag als Video
Konferenzprogramm 'The Cultures of Privacy and Data Protection in the EU and in the U.S.'


Autoren

Name:
Prof. Dr. Oliver Zöllner  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
Funktion:
Professor
Lehrgebiet:
Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
Raum:
216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Telefon:
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