Vortrag

'1968': Der revolutionäre Gestus und das holistische Bewusstsein

Wie sich Musik, Aktivistenliteratur und Medientheorie um 1968 gegenseitig befruchteten

McLuhan, Rubin, Hoffman und die Beatles: Dokumente einer 'Revolution' - oder zumindest eines epistemologischen Wandels um 1968 (Collage/Bearbeitung: Oliver Zöllner)
McLuhan, Rubin, Hoffman und die Beatles: Dokumente einer 'Revolution' - oder zumindest eines epistemologischen Wandels um 1968 (Collage/Bearbeitung: Oliver Zöllner)
Helmut Schmidt war kein 68er und die Bundeswehr ist eher kein Hotspot der Gegenkultur. Aber 50 Jahre nach '1968' fand an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg die Tagung 'Pop 68 50 2018' statt: mit einem Blick zurück auf das mythisch aufgeladene Jahr, das den Muff wegwehte. (Foto: Oliver Zöllner)
Helmut Schmidt war kein 68er und die Bundeswehr ist eher kein Hotspot der Gegenkultur. Aber 50 Jahre nach '1968' fand an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg die Tagung 'Pop 68 50 2018' statt: mit einem Blick zurück auf das mythisch aufgeladene Jahr, das den Muff wegwehte. (Foto: Oliver Zöllner)

Am 2. Februar 2018 hielt HdM-Professor Oliver Zöllner in Hamburg einen Vortrag auf dem "Popkongress 2018", ausgerichtet von der AG Populär­kultur und Medien der Gesell­schaft für Medien­wissen­schaft (GfM). Kongress­thema war ein Rück­blick auf 50 Jahre "1968". Mit den Mitteln der dokumenta­rischen Methode, eines Zweiges der qualitativen Sozial­forschung, analysierte Zöllner, wie drei Dokumenten­bündel der Populärkultur - die Hypo­thesen des Medien­theoreti­kers Marshall McLuhan, die Schriften der studentischen Yippie-Aktivisten und Bürger­rechtler Abbie Hoffman und Jerry Rubin sowie die berühmten drei "Revolution"-Stücke der Beatles - um 1968 eine Art Revolution im Denken beeinflussten und wie dies möglicherweise bis in die Gegenwart unsere Sichtweise auf die Welt mit beeinflusst hat.

In seinem theoretisch-historisch angelegten Vortrag legte Zöllner eingangs dar, wie eine breit rezipierte Medien­theorie der 1960er-Jahre, namentlich die spekulativen Thesen des in Nordamerika zum "Medienguru" und Pop-Phänomen stilisierten Literatur­wissen­schaftlers Marshall McLuhan, mit ihrem Leitmotiv eines neuen, globalen, nicht-linearen, holistischen Bewusst­seins um das Jahr 1968 herum sowohl die populäre Musik als auch Autoren/Aktivisten aus dem Umfeld der Bürgerrechtsbewegung und des zivilen Ungehorsams beeinflusst hat. Den "revolutionäre Gestus" der Zeit analysierte Zöllner zentral an drei zeit­genössi­schen Artefakten, die stark von den neuen medialen Ausdrucks­möglichkeiten ihrer Zeit geprägt wurden: der Song-Trias "Revolution 1" / "Revolution 9" / "Revolution" der Beatles (1968); dem Buch "Revolution for the Hell of It" von Free (= Abbie Hoffman, 1968) und dem Buch "Do It! Scenarios of the Revolution" von Jerry Rubin (1970). An diesen Artefakten wurde untersucht, wie sie die zeitgenössischen populären Thesen McLuhans rezipiert und inkorporiert haben. Besonderes Augenmerk galt dabei dem von McLuhan hypothetisierten Wandel des gesell­schaftlichen Bewusst­seins weg von einer linear-hierarchischen zu einer holistisch vernetzten, nicht-hierarchischen ("akustischen") Struktur.

Der Vortrag zeichnete nach, wie um 1968 ein Narrativ des "revolutionären" Wandels popularisiert wurde, das bis heute die Wahr­nehmung der Chiffre "1968" prägt und ab den 1980er-Jahren seinen Niederschlag in den digitalen Innovations- bzw. Disruptions-Ideologemen des Silicon Valley fand. Dieses Narrativ kreist im Kern um die Topoi der Vernetzung und Tribalisierung, hinter dem die Frage nach Visionen von Kollektivierung versus Individuali­sierung steht; es geht aber eben auch um den techno­logischen Wandel, der sich um 1968 vollzog und in allen drei exemplarisch untersuchten Dokumentenbündeln zu finden ist. Zöllner führte in seinem Ansatz, den Habitus von "1968" nachzu­zeichnen, aber ebenso aus, wie unver­bindlich und schwammig dieser "revolutionäre" Gestus erscheint - jedenfalls in der historischen Rückschau auf die Dokumente 50 Jahre später. Entsprechend leicht konnte und kann dieser Gestus kommerziell ausgebeutet werden.

 

Literatur und Quellen:

The Beatles (1968): The Beatles [a.k.a. The White Album]. Apple/EMI PCS 7067/8 [LP].

The Beatles (1968): "Hey Jude"/"Revolution". Apple/EMI R 5722 [Single].

Bohnsack, Ralf (2010): Rekonstruktive Sozialforschung. Einführung in qualitative Methoden. 8. Aufl. Opladen, Farmington Hills.

Free (= Hoffman, Abbie) (1968): Revolution for the Hell of It. New York.

Kurlansky, Mark (2004): 1968: The Year That Rocked the World. New York.

Lanier, Jaron (2013): Who Owns the Future? New York u.a.

MacDonald, Ian (1997): Revolution In the Head: The Beatles' Records and the Sixties. 2nd ed. London.

MacFarlane, Thomas (2013): The Beatles and McLuhan: Understanding the Electric Age. Lanham, Toronto, Plymouth.

McLuhan, Marshall (1964): Understanding Media: The Extensions of Man. New York.

McLuhan, Marshall; Fiore, Quentin (1967): The Medium is the Massage: An Inventory of Effects. New York.

McLuhan, Marshall; Fiore, Quentin; Agel, Jerome (1967): The Medium is the Massage: With Marshall McLuhan. Columbia CS 9501 [LP].

McLuhan, Marshall; Fiore, Quentin (1968): War and Peace in the Global Village. New York.

McLuhan, Marshall; Parker, Harley (1969): Counterblast. Toronto, Montreal.

Rubin, Jerry (1970): Do It!: Scenarios of the Revolution. New York.

Schnapp, Jeffrey T.; Michaels, Adam (2012): The Electric Information Age Book. McLuhan / Agel / Fiore and the Experimental Paperback. New York.

Stearn, Gerald Emanuel (ed.) (1967): McLuhan Hot and Cool: A Critical Symposium. New York.

 

Vortrag auf Veranstaltung: 'Pop 68 50 2018' - Popkongress 2018 der AG Populärkultur und Medien der Gesellschaft für Medienwissenschaft
Veranstaltungsort: Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg
Datum: 01.02.2018 bis 03.02.2018

Weiterführende Links:
Call for Papers und Programm des Popkongresses 2018


Autoren

Name:
Prof. Dr. Oliver Zöllner  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
Funktion:
Professor
Lehrgebiet:
Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
Raum:
216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Telefon:
0711 8923-2281
Telefax:
0711 8923-2206
E-Mail:
zoellner@hdm-stuttgart.de
Homepage:
https://www.oliverzoellner.de
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