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'Bollywood' und die indische Diaspora in Deutschland

Wie Populärkultur die Identität einer Einwanderergruppe prägt

Filmplakate in Indien, hier gesehen in Alappuzha, Kerala. Foto: Oliver Zöllner
Filmplakate in Indien, hier gesehen in Alappuzha, Kerala. Foto: Oliver Zöllner

Indischstämmige Einwanderer stehen in Deutsch­land selten im Fokus der Aufmerksamkeit. Sie sind eine relativ kleine Gruppe, verstreut in der Diaspora. Wie also halten diese Immigranten ihre "indische" Identität aufrecht? Fühlen sie sich überhaupt (noch) als "Inder"? Welche Rolle spielen hierbei indische Filme ("Bolly­wood") und andere Aspekte der südasia­tischen (Populär-)Kultur wie etwa Ayurveda, Yoga oder Popmusik, die ja auch längst bei Nicht-Indern in Deutschland sehr beliebt sind? Inwieweit findet möglicher­weise gerade bei jungen indisch­stämmigen Migranten eine "Indisierung" statt?
Robi Banerjee hat dies an der Hochschule der Medien Stuttgart erforscht. Seine Studie "Die Bedeutung Bollywoods für die Identitätsfindung der indischen Diaspora in Deutschland" ist nun im "Journal of Religious Culture/Journal für Religions­kultur" erschienen [PDF, ca. 1,7 MB]. Entstanden ist sie als Masterarbeit im Studiengang "Elek­tronische Medien".
Banerjee klärt zunächst die für seinen Zugang zentralen Begriffe wie "Diaspora", "Identität" und "Bollywood" und ihr Zusammenspiel bei der Aushandlung von kultureller Identität. Als theoretische Grundierung dient dem Autor dabei vor allem der Symbolische Interaktionismus. Anschließend setzt Banerjee seine komplexen Forschungs­fragen empirisch um. Er entscheidet sich für eine in methodischer Hinsicht qualitative Heran­gehens­weise mit persönlichen Tiefen­interviews und Gruppen­diskussionen mit Angehörigen der indi­schen/süd­asiatischen Community in Frankfurt am Main.
Dies erwies sich in der Praxis noch schwieriger als erwartet: Eine mangelnde Teil­nahmebereit­schaft bzw. auch die Unzuver­lässigkeit etlicher mühsam rekrutierter Probanden hat Banerjee die Forschungsarbeit stark erschwert. Der Autor reflektiert diese Schwierigkeiten des Feldzugangs – und seine Lösungs­ansätze – aber so offen und souverän, dass die Studie nicht zuletzt auch als methodologische Studie gelesen werden kann, die einen wissenschaftlichen Wert auch über das eigentliche Thema hinaus hat.
Auf der Basis von letztlich einer Gruppen­diskussion und acht Tiefen­interviews, die sehr sorgfältig transkri­biert und dokumentiert werden, gelangt Robi Banerjee zu sehr differen­zierten Ergebnissen, deren Kern­stück der stimmige Entwurf einer Typologie von Identitätszuständen ist. Dem Autor gelingt es sehr gut, seine vielschich­tigen und klein­teiligen empirischen Daten in eine eigene Theorie­bildung zu überführen.

Moderne Bollywood­filme können liberale Identität stiften

Bollywood­filme alleine vermögen es nicht, so eine von Banerjees Schluss­folgerungen, innerhalb etwa der zweiten Generation der indischen Diaspora in Deutsch­land ein pan-indisches Gemein­schafts­gefühl zu schaffen: Am Thema Bollywood scheiden sich offensichtlich die Geister, denn viele der aus der Heimat der Eltern importierten Filme vertreten höchst konser­vative und für die hier lebenden jüngeren Indischstämmigen eher fremde Werte. Modernere Bollywood­filme dagegen helfen der zweiten Generation der indischen Diaspora in Deutschland durchaus, sich als Inder zu verstehen. "Bollywoodfilme können durch die Vermittlung einer gemeinsamen Sprache sowie eines geteilten Wertesystems bei den Fans des Genres ein pan-indisches Gemein­schafts­gefühl erzeugen, welches die Diaspora mit dem Ursprungs­land verbindet. (...) Klassische Bollywoodfilme einen den konser­vativen Teil der indischen Diaspora durch die Rück­besinnung auf tradierte Werte des Ursprungs­landes", so Banerjee in weiteren Schluss­folgerungen (S. 59). Modernere Bollywood­filme dagegen "stiften jungen Indern im In- und Ausland eine gemeinsame, liberale Identität, deren Wurzeln dennoch in Indien liegen" (ebd.).
Robi Banerjees tief recherchierte, sehr reflektierte und – vergleicht man sie mit anderen, stets offenbar: völlig problemlosen Erhebungen – angenehm selbst­kritische Studie verdient eine breite Leser­schaft, die mehr wissen möchte über eine meist übersehene Einwanderer­gruppe und eine Populär­kultur, der manchmal, aber gänzlich unnötig, noch der Hauch des "Exotismus" anhaftet.

Oliver Zöllner

Die Studie:
Banerjee, Robi: Die Bedeutung Bollywoods für die Identitätsfindung der indischen Diaspora in Deutschland. In: Journal of Religious Culture. Journal für Religions­kultur, Nr. 163 (2012). URL: http://irenik.org/uploads/pdf/a120718140943826.pdf

Weiterführende Literatur (Auswahl):
Athique, Adrian: Diasporic Audiences and Non-Resident Media: The Case of Indian Films. In: Participations: Journal of Audience and Reception Studies, Vol. 8 (2011), issue 2, Onlinequelle: http://www.participations.org/Volume%208/Issue%202/1a%20Athique.pdf.
Gillespie, Marie: Transnationale Kommuni­kation und die Kultur­politik in der südasia­tischen Diaspora. In: Andreas Hepp/Mar­tin Löffel­holz (Hrsg.): Grundlagentexte zur trans­kulturellen Kommuni­kation. Konstanz 2002, S. 617-643.
McPhail, Thomas L.:
Global Communication. Theories, Stakeholders, and Trends. 3rd ed. Malden, Oxford, Chichester 2010, S. 317-323.
Mehta, Rini Bhattacharya/Pandharipande, Rajeshwari V. (eds.):
Bollywood and Globalization: Indian Popular Cinema, Nation and Diaspora. London 2011.
Ray, Manas:
Nation, Nostalgia and Bolly­wood: In the Tracks of a Twice-Displaced Community. In: Karim H. Karim (ed.): The Media of Diaspora. London, New York 2003, S. 21-35.


 



Autoren

Name:
Prof. Dr. Oliver Zöllner  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
Funktion:
Professor
Lehrgebiet:
Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
Raum:
216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Telefon:
0711 8923-2281
Telefax:
0711 8923-2206
E-Mail:
zoellner@hdm-stuttgart.de
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