'Bollywood' und die indische Diaspora in Deutschland
Wie Populärkultur die Identität einer Einwanderergruppe prägt
Indischstämmige Einwanderer stehen in Deutschland selten im Fokus der Aufmerksamkeit. Sie sind eine relativ kleine Gruppe, verstreut in der Diaspora. Wie also halten diese Immigranten ihre "indische" Identität aufrecht? Fühlen sie sich überhaupt (noch) als "Inder"? Welche Rolle spielen hierbei indische Filme ("Bollywood") und andere Aspekte der südasiatischen (Populär-)Kultur wie etwa Ayurveda, Yoga oder Popmusik, die ja auch längst bei Nicht-Indern in Deutschland sehr beliebt sind? Inwieweit findet möglicherweise gerade bei jungen indischstämmigen Migranten eine "Indisierung" statt?
Robi Banerjee hat dies an der Hochschule der Medien Stuttgart erforscht. Seine Studie "Die Bedeutung Bollywoods für die Identitätsfindung der indischen Diaspora in Deutschland" ist nun im "Journal of Religious Culture/Journal für Religionskultur" erschienen [PDF, ca. 1,7 MB]. Entstanden ist sie als Masterarbeit im Studiengang "Elektronische Medien".
Banerjee klärt zunächst die für seinen Zugang zentralen Begriffe wie "Diaspora", "Identität" und "Bollywood" und ihr Zusammenspiel bei der Aushandlung von kultureller Identität. Als theoretische Grundierung dient dem Autor dabei vor allem der Symbolische Interaktionismus. Anschließend setzt Banerjee seine komplexen Forschungsfragen empirisch um. Er entscheidet sich für eine in methodischer Hinsicht qualitative Herangehensweise mit persönlichen Tiefeninterviews und Gruppendiskussionen mit Angehörigen der indischen/südasiatischen Community in Frankfurt am Main.
Dies erwies sich in der Praxis noch schwieriger als erwartet: Eine mangelnde Teilnahmebereitschaft bzw. auch die Unzuverlässigkeit etlicher mühsam rekrutierter Probanden hat Banerjee die Forschungsarbeit stark erschwert. Der Autor reflektiert diese Schwierigkeiten des Feldzugangs – und seine Lösungsansätze – aber so offen und souverän, dass die Studie nicht zuletzt auch als methodologische Studie gelesen werden kann, die einen wissenschaftlichen Wert auch über das eigentliche Thema hinaus hat.
Auf der Basis von letztlich einer Gruppendiskussion und acht Tiefeninterviews, die sehr sorgfältig transkribiert und dokumentiert werden, gelangt Robi Banerjee zu sehr differenzierten Ergebnissen, deren Kernstück der stimmige Entwurf einer Typologie von Identitätszuständen ist. Dem Autor gelingt es sehr gut, seine vielschichtigen und kleinteiligen empirischen Daten in eine eigene Theoriebildung zu überführen.
Moderne Bollywoodfilme können liberale Identität stiften
Bollywoodfilme alleine vermögen es nicht, so eine von Banerjees Schlussfolgerungen, innerhalb etwa der zweiten Generation der indischen Diaspora in Deutschland ein pan-indisches Gemeinschaftsgefühl zu schaffen: Am Thema Bollywood scheiden sich offensichtlich die Geister, denn viele der aus der Heimat der Eltern importierten Filme vertreten höchst konservative und für die hier lebenden jüngeren Indischstämmigen eher fremde Werte. Modernere Bollywoodfilme dagegen helfen der zweiten Generation der indischen Diaspora in Deutschland durchaus, sich als Inder zu verstehen. "Bollywoodfilme können durch die Vermittlung einer gemeinsamen Sprache sowie eines geteilten Wertesystems bei den Fans des Genres ein pan-indisches Gemeinschaftsgefühl erzeugen, welches die Diaspora mit dem Ursprungsland verbindet. (...) Klassische Bollywoodfilme einen den konservativen Teil der indischen Diaspora durch die Rückbesinnung auf tradierte Werte des Ursprungslandes", so Banerjee in weiteren Schlussfolgerungen (S. 59). Modernere Bollywoodfilme dagegen "stiften jungen Indern im In- und Ausland eine gemeinsame, liberale Identität, deren Wurzeln dennoch in Indien liegen" (ebd.).
Robi Banerjees tief recherchierte, sehr reflektierte und – vergleicht man sie mit anderen, stets offenbar: völlig problemlosen Erhebungen – angenehm selbstkritische Studie verdient eine breite Leserschaft, die mehr wissen möchte über eine meist übersehene Einwanderergruppe und eine Populärkultur, der manchmal, aber gänzlich unnötig, noch der Hauch des "Exotismus" anhaftet.
Oliver Zöllner
Die Studie:
Banerjee, Robi: Die Bedeutung Bollywoods für die Identitätsfindung der indischen Diaspora in Deutschland. In: Journal of Religious Culture. Journal für Religionskultur, Nr. 163 (2012). URL: http://irenik.org/uploads/pdf/a120718140943826.pdf
Weiterführende Literatur (Auswahl):
Athique, Adrian: Diasporic Audiences and Non-Resident Media: The Case of Indian Films. In: Participations: Journal of Audience and Reception Studies, Vol. 8 (2011), issue 2, Onlinequelle: http://www.participations.org/Volume%208/Issue%202/1a%20Athique.pdf.
Gillespie, Marie: Transnationale Kommunikation und die Kulturpolitik in der südasiatischen Diaspora. In: Andreas Hepp/Martin Löffelholz (Hrsg.): Grundlagentexte zur transkulturellen Kommunikation. Konstanz 2002, S. 617-643.
McPhail, Thomas L.: Global Communication. Theories, Stakeholders, and Trends. 3rd ed. Malden, Oxford, Chichester 2010, S. 317-323.
Mehta, Rini Bhattacharya/Pandharipande, Rajeshwari V. (eds.): Bollywood and Globalization: Indian Popular Cinema, Nation and Diaspora. London 2011.
Ray, Manas: Nation, Nostalgia and Bollywood: In the Tracks of a Twice-Displaced Community. In: Karim H. Karim (ed.): The Media of Diaspora. London, New York 2003, S. 21-35.
Autoren
- Name:
- Prof. Dr. Oliver Zöllner
- Forschungsgebiet:
- Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
- Funktion:
- Professor
- Lehrgebiet:
- Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
- Studiengang:
- Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
- Fakultät:
- Fakultät Electronic Media
- Raum:
- 216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
- Telefon:
- 0711 8923-2281
- Telefax:
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- E-Mail:
- zoellner@hdm-stuttgart.de
- Homepage:
- https://www.oliverzoellner.de
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