Portalbeitrag

Werbung im Internet für Kinder oft nicht erkennbar

HdM-Forschergruppe untersucht Medienkompetenz von Sieben- bis 13-Jährigen

Wie betrachten Kinder Websites? Das haben die HdM-Forscher u.a. mit dem Eyetracking-Verfahren untersucht. Hier exemplarisch zu sehen: die SuperRTL-Website als Blick-'Heatmap'. (Screenshot: HdM)
Wie betrachten Kinder Websites? Das haben die HdM-Forscher u.a. mit dem Eyetracking-Verfahren untersucht. Hier exemplarisch zu sehen: die SuperRTL-Website als Blick-'Heatmap'. (Screenshot: HdM)

Längst ist das Internet in den Kinderzimmern angekommen. Schü­lerinnen und Schü­ler suchen dort nach Informa­tionen, ver­netzen sich, spielen – und das nicht immer unter Aufsicht der Eltern. Im Netz werden Kinder auch mit Inhalten konfron­tiert, die mitunter proble­ma­tisch sein können, etwa mit Werbung.

Was für Werbe­formen gibt es im Internet? Inwieweit sind sie von redaktionellen Inhalten unterscheidbar? Wie nehmen Kinder Werbung im Internet wahr und wie reagieren sie auf sie? Reicht die Medien­kompetenz von Sieben- bis 13-Jährigen aus, um angemessen mit werblichen Angeboten im Internet umzugehen? Gibt es regula­torischen Handlungs­bedarf für die Medien­aufsicht?

Mit diesen Fragen hat eine inter­disziplinäre Forschungs­gruppe der Hochschule der Medien um Prof. Dr. Petra Grimm, Prof. Dr. Tobias O. Keber, Prof. Dr. Boris Alexander Kühnle, Prof. Dr. Roland Mangold und Prof. Dr. Oliver Zöllner das Internet­nutzungs­verhalten von Schülerinnen und Schülern untersucht. Ihre detaillierte Studie "Mit Kindern unterwegs im Internet", die sie im Auftrag der Landes­zentrale für Medien und Kommuni­kation Rhein­land-Pfalz durchführten, haben sie im Juni vorgestellt.

Ziel der Studie war es, den Umgang von Kindern im Alter zwischen sieben und 13 Jahren mit Werbung im Internet zu erforschen. Laut der KIM-Studie 2012 nutzen immerhin 62 Prozent der Mitglieder dieser jungen Altersgruppe das Internet. Der Fokus der Studie lag auf dem Online-Werbeangebot der Websites von Fernseh­veranstaltern, da es eine Vielzahl an Querbezügen zwischen den Rundfunk- und Tele­medien­angeboten gibt, die aktiv für Werbe­strategien der Veranstalter genutzt werden. Im Unter­schied zur Fernseh­werbung, die aufgrund ihrer linearen Präsentation und offen­sichtlichen Kennzeichnung gut erkennbar ist und deren Rezeption (zumindest als Blockwerbung) leichter vermeidbar ist, weist die werbliche Kommunikation im Internet eine non-lineare Struktur auf. Ihre Werbeformen sind zudem vielfältiger und der Nutzer kann ihr nicht so leicht ausweichen, da sie oft unvorher­gesehen auftritt (z. B. in Form von Pop-up-Fenstern).

Untersucht wurde in einem Mehrmethoden­design,
1. wie Werbung im Internet präsentiert wird und von redaktionellem Inhalt unterscheidbar ist,
2. ob Kinder Werbung im Internet erkennen und wie sie auf derartige Werbe­angebote reagieren,
3. ob Kinder über eine ausreichende Werbekompetenz verfügen und
4. ob es angesichts des medien­regulatorischen Ungleich­gewichts zwischen Fernsehen und Internet einen Handlungs­bedarf gibt.


Wesentliches Ergebnis der Studie ist, dass sowohl eine Entgrenzungs-Tendenz von werblichem und redaktionellem Inhalt wie auch Strategien der Camouflage (des Verbergens von Werbung in redaktioneller Gestaltung) erkennbar sind. Auch die Strategie des Hineinmanövrierens in werbliche Kommunikation durch Spiele stellt einen Kunstgriff der Online-Werbung dar, um die Nutzer, vor allem die Zielgruppe der spieleaffinen Kinder, an Werbung heranzuführen. Die Entgrenzung und das Hineinmanövrieren in werbliche Kommunikation macht es Kindern schwer, Werbung bzw. kostenpflichtige Angebote von redaktionellen Inhalten zu unterscheiden. Hinsichtlich der Kennzeichnung von Werbung stellt insbesondere die Eigenwerbung bzw. "Eigenpromotion" der Sender-Websites eine normative Herausforderung dar, da in nicht unerheblichem Maße für Produkte und Dienstleistungen der Sender bzw. deren Werbekooperationspartner geworben oder auf diese direkt verlinkt wird.

Der erste Teil der Studie ist eine quantitative Inhaltsanalyse der Websites von superrtl.de, nick.de, toggo.de, prosieben.de, rtl.de und sat1.de und der Websites der TV-Formate Das Supertalent und The Voice of Germany. Hier wird deutlich, dass die Werbeangebote auf Websites von TV-Veranstaltern in erheblichem Maße von Werbeangeboten des Senders geprägt sind (z. B. Club-Mitgliedschaften, Telekommunikations-Dienstleistungen, Werbung für Handytarife oder USB-Sticks etc.): 71 Prozent der 1.178 analysierten Werbeelemente sind Werbeangebote der Sender bzw. Werbe­angebote der Sender in Kooperation mit Werbe­partnern, dagegen nur 26 Prozent Werbeangebote von externen Anbietern. Zugleich sind die werblichen Senderangebote im Hinblick auf die Trennung zwischen redaktionellen und werblichen Teilen die problema­tischsten Werbeangebote. So beträgt der Abgrenzungswert hier nur 17 Prozent, während externe Werbeangebote mit einem Abgren­zungswert von durchschnittlich 60 Prozent deutlich besser abschneiden, wobei es auch externe Werbe­angebote gibt, die nicht gekennzeichnet sind.
Auch die Weiter­leitungs­regeln bei Werbe­angeboten sind als proble­matisch einzustufen: Bei rund jedem zweiten Werbemittel (55%) verlässt der Nutzer die ursprüng­liche Website und kommt dorthin nur noch über den "Zurück"-Button zurück. Die Verlinkungen auf den Websites führen häufig innerhalb von wenigen Klicks zu Bezahl­schranken. Die Nutzung bestimmter Angebote (z. B. Spiele) ist oft mit der Preisgabe von Daten und der Erstellung eines Accounts verbunden, was gerade mit Blick auf Kinder als problema­tisch gewertet werden kann. Es finden sich auf den Websites Beispiele für als kostenlos deklarierte Angebote, die aber zu Folge­kosten führen können. Es zeigt sich, dass die Sender auf ihren Websites die Ziel­gruppe Kind bei der Kenn­zeichnung nicht in allen Fällen ausreichend berücksichtigen, obwohl ihre Produkte sich auch an Kinder richten.

In weiteren Teilen der Studie haben die HdM-Forscher eine Rezeptions- und eine Evaluationsanalyse durchgeführt. Hierbei wurden bei einer Stichprobe von 26 Kindern (Grundschüler und Gymnasiasten) im Alter zwischen sieben und 13 Jahren mittels eines Eyetracking-Systems und einer Befragung die Wahrnehmung von Werbung und die Reaktion der Kinder auf Werbung untersucht. Ergebnis des Untersuchungsteils ist, dass Kinder Werbeelemente am ehesten wahrnehmen, wenn sie abseits der redaktionellen Inhaltselemente dargeboten werden (z. B. als Werbebanner, Pop-up-Fenster oder separat angeordnete oder deutlich gekennzeichnete Werbeanzeigen). Elemente auf den Websites werden umso weniger eindeutig als Werbung erkannt, je mehr sie den redaktionellen Elementen ähnlich sind.

Es ist insbesondere das Vorhanden­sein von Spielen, das eine Website aus Sicht der Kinder als kindgerecht erscheinen lässt und sie von Websites für Erwachsene abgrenzt. Spiele erscheinen als 'Einfallstor' und als Element mit spezieller Attraktivität für den Kontakt mit Werbung im Internet. Animierte Website­elemente (Pop-up-Fenster, auch eingebettete Videos) fungieren in der kindlichen Wahr­nehmung als besondere Eyecatcher. Diese enthalten oftmals werbliche Inhalte. Des Weiteren lässt sich ein ambivalentes Verhältnis zur Online-Werbung erkennen: Einerseits üben die Kinder deutlich eine allgemeine Kritik an der Werbung, andererseits zeigen sie eine Werbe­affinität zu lustiger Werbung oder Werbung, die zu ihren Interessen passt. Als Gründe für ihre Werbe­kritik nennen sie Probleme bei der Webnavi­gation (die durch Pop-up-Fenster oder das Weiter­leiten auf Drittanbieterseiten entstehen) und dass sie durch Werbung am Spielen oder Anschauen von Videos behindert werden.

Was die Werbe­kompetenz der Kinder betrifft, weisen die jüngeren Kinder tendenziell noch keine Fähigkeit zur Bewertung des Wahrheits­gehaltes und der Persuasions­strategien der Werbung auf. Die älteren Kinder verfügen zwar bereits über eine Werbeskepsis, die auf eigenen Produkt­erfahrungen basieren, sind aber weitgehend noch darin überfordert, sich mit den jeweiligen Werbestrategien auseinander­zusetzen. Mit Blick auf das individuelle Risiko­management haben fast alle Kinder Angst vor Kostenfallen. Zum Teil haben die Probanden schon eigene negative Erfahrungen mit Kosten­fallen im Internet oder mit dem Handy gemacht. Kinder, die sich insgesamt relativ medien­kompetent zeigen, gehen auch aufmerksam mit kosten­pflichtigen Angeboten um. Die Schwelle hinsichtlich der Anmeldung bei Spielen und Gewinnspielen liegt bei den älteren Kindern tendenziell niedriger als bei den jüngeren. Dies hat zur Folge, dass die älteren Kinder (ab zehn Jahre) eher dazu tendieren, Daten von sich preiszugeben, als die jüngeren.

Die HdM-Forscher folgern anhand der Befunde der Studie, dass sowohl eine Werbe­kompetenz­förderung in der Schule und in der eltern­pädagogischen Arbeit notwendig ist als auch eine Verständi­gung der Internetwirtschaft mit der Medienpolitik über werbeethische Normen. Ein zentrales Desiderat wäre die Einführung neuer Standards. Dazu zählen folgende Handlungs­empfehlungen für die Website-Anbieter, die ihre Angebote an Kinder richten: auf eine Daten­abfrage verzichten, keine Werbung in Spiele integrieren, die Werbung von redaktionellen Inhalten durch eine entsprechende grafische Gestaltung abgrenzen, auf camouflierte Werbung verzichten, bei Weiterleitung auf externe Angebote einen kindgerechten Hinweis geben und zur Kenn­zeichnung ausschließlich den Begriff "Werbung" wählen und diesen sichtbar platzieren.

Die abschließende Untersuchung des rechtlichen Rahmens für Onlinenagebote offenbart Lücken und Wider­sprüchlich­keiten. Während der Rundfunkstaatsvertrag ausdifferenzierte Werbebeschränkungen im Fernsehen vorsieht, ist die Regulierungsdichte für Werbung im Onlinebereich deutlich geringer. Onlineangebote werden rechtlich grundsätzlich als Telemedien qualifiziert. Damit ist allerdings eine Fülle von Abgrenzungs­fragen verbunden. Je nachdem, ob es sich um "einfache Telemedien", um solche mit "journalis­tisch-redaktionellen Inhalten" oder solche handelt, die "fernseh­ähnlich" sind, greifen unterschied­liche Regelungen. Ein zentrales Problem ist dabei auch der Begriff der Werbung. Insoweit stellt sich die Frage, ob auch die Eigen­werbung eines Inhalteanbieters definitorisch erfasst wird. Für das Fernsehen sind hier konkrete Richt­linien entwickelt worden, in denen beispielsweise Hinweise auf sendungsbezogenes Begleitmaterial begrifflich ausgeklammert werden. Entsprechende Richt­linien fehlen indes für Telemedien. Hier besteht Klärungs­bedarf.

Die HdM-Studie macht deutlich: Die Regelungen zum medien­rechtlichen Trennungs­gebot sind defizitär. Zwar gilt der Trennungsgrundsatz, verstanden als einer die Erkennbar­keit nicht publizistisch motivierter Kommunika­tions­interessen bezweckenden Vorgabe sowohl im Rundfunk­recht als auch im Tele­medien­recht. Anders als im Rundfunk­recht sehen die Regelungen für nicht fernsehähnliche Tele­medien aber keinen speziellen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor, der ihrer einge­schränkten Kompetenz Rechnung trägt, Werbung als solche zu erkennen. Das Fehlen eines spezifischen kinder- und jugend­schutz­orientierten Trennungs­gebots für nicht fernsehähnliche Telemedien ist vor allem dann nicht sachgerecht, wenn man bedenkt, dass sich bei der Verbindung von Werbung mit Spielen die potenziell beein­flussende Wirkung durch Interaktivität signifikant erhöht.

Dass die Regulierung von Telemedien insgesamt unstimmig ist, zeigt sich nicht zuletzt auf der Ebene der Durchsetz­barkeit des medien­rechtlichen Trennungs­gebots. Ein Verstoß gegen das rundfunkrechtliche Trennungsgebot ist bußgeldbewehrt, ein Verstoß gegen das telemedien­rechtliche Trennungsgebot dagegen nur dann, wenn es fernseh­ähnliche Telemedien sind. Für Telemedien mit journalis­tisch-redaktionellen Inhalten kommt als Sanktion zwar die Untersagung des Angebots in Betracht, allerdings steht diese Maßnahme unter dem Vorbehalt der Verhältnis­mäßigkeit. Daher wird sie entsprechend selten zur Anwendung kommen.

Die Ergebnisse der interdiszi­plinären Studie für die Landeszentrale für Medien und Kommunika­tion Rheinland-Pfalz (LMK) werden Ende 2013 unter dem Titel "Mit Kindern unterwegs im Internet: Beobachtungen zum Surf­verhalten - Heraus­forderungen für die Medien­aufsicht" in der Schriften­reihe der LMK im Nomos-Verlag erscheinen.


Weiterführende Links:
Landeszentrale für Medien und Kommunikation Rheinland-Pfalz
Hochschule der Medien Stuttgart
Artikel zur Studie in der Zeitschrift 'medien + erziehung', Heft 04/2013


Autoren

Name:
Prof. Dr. Petra Grimm  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Digitale Ehik, Ethics by Design, Integrierte Forschung, Künstliche Intelligenz, Soziale Medien, Medienpädagogik
Funktion:
Professorin
Lehrgebiet:
Medienwissenschaft, Medienethik
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
Raum:
225, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Telefon:
0711 8923-2202
Homepage:
http://www.hdm-stuttgart.de/grimm
Petra Grimm

Name:
Prof. Dr. Tobias Keber  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Internationale Aspekte des Rechts der Neuen Medien; Regulierung und Internet; Digitale Ethik
Funktion:
Professor
Lehrgebiet:
Medienpolitik; nationales, europäisches und internationales Medienrecht; Grundlagen Recht; Urheberrecht; Datenschutzrecht; Wissenschaftliches Arbeiten und Texten; Präsentationstechniken
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
Raum:
224, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Telefon:
0711 8923-2718
Homepage:
datenreiserecht.de
Tobias Keber

Name:
Prof. Dr. Boris Kühnle  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
- Performance Management in der Medienbranche - Ökonomische Bedingungen und Bedeutung der Medien- und TIME-Branche (z.B. Branchenanalysen, Standortforschung)
Funktion:
Professor
Lehrgebiet:
Professor für Medienwirtschaft und Finanzmanagement in TIME-Märkten Schwerpunkte: - Medienwirtschaft - Verlagsmanagement und Konvergenz - Controlling, Management Accounting - Internationale Finanz- und Medienmärkte - New Business und Gaming
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
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None
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0711 8923-2246
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0711 8923-2206
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Boris Kühnle

Name:
Prof. Dr. Oliver Zöllner  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
Funktion:
Professor
Lehrgebiet:
Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
Raum:
216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Telefon:
0711 8923-2281
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0711 8923-2206
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zoellner@hdm-stuttgart.de
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https://www.oliverzoellner.de
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