Die Aura der Klangskulptur
Die Vinylschallplatte als Zeichen- und Handlungsträger gesellschaftlicher Transformationen in der Digitalisierung
Am 18. Januar 2019 hielten die beiden HdM-Professoren Burkard Michel und Oliver Zöllner gemeinsam mit ihrem Kollegen Prof. Dr. Holger Lund von der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Ravensburg einen Vortrag zum Thema "Die Aura der Klangskulptur". Konkret ging es in dem Fachvortrag um die Vinylschallplatte als Zeichen- und Handlungsträger gesellschaftlicher Transformationen in der Digitalisierung. Ort des Geschehens war das Haus der Wissenschaft der Universität Bremen, wo die dreitägige Tagung "Digitale Kommunikation und Kommunikationsgeschichte: Perspektiven, Potentiale, Problemfelder" stattfand. Ausrichter waren zwei Fachgruppen der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK).
Es ist ein wirklich bemerkenswertes Phänomen, dass just zu dem Zeitpunkt, da CD-Absätze spürbar zurückgehen und viele Menschen Musik nur noch entmaterialisiert per Streaming konsumieren, die klassische analoge Langspielplatte wieder an Bedeutung und Beliebtheit gewinnt. Sie behauptet sich auf einem robusten Nischenmarkt. Rund um die Schallplatte hat sich eine regelrechte "Vinylkultur" ausgebildet, die den analogen Tonträger als Speicher- und Wiedergabemedium wie auch als Devotionalobjekt wiederentdeckt hat. In dem Vortrag ging es demnach auch um die Frage, ob und wie sich Schallplatte und Plattenspieler nach ihrer "Wiedergeburt" bei gleichgebliebener materieller Grundlage verändert haben, in welche neuen Handlungspraktiken sie eingebunden sind, wer die Akteur*innen dieser neuen Praktiken sind und welche sozialen und historischen Verschiebungen sich in dieser Rückwendung zur Vinylschallplatte dokumentieren.
Lund, Michel und Zöllner wiesen in ihren Ausführungen anhand zahlreicher Beispiele darauf hin, dass das popkulturell formierte Objekt Schallplatte Bedeutungen enthält und Praktiken bedingt, die über die in seine Materialität eingeschriebenen Inhalte weit hinausgehen. Form und Inhalt fallen auseinander. Der Vinylschallplatte als Materialobjekt scheint eine Aura innezuwohnen: Sie scheint als zeichenhafter Mythos des Alltags auffassbar zu sein (vgl. Barthes 2010), sie zieht menschliche Handlungen nach sich, die sowohl individueller wie auch gesellschaftlich-kollektiver Art sein können. Und auch dieses alte Medium wird wohl bleiben, der fortschreitenden Digitalisierung zum Trotz - oder gerade ihretwegen.
Literatur:
Barthes, Roland (2010): Mythen des Alltags. Vollständige Ausgabe. Berlin: Suhrkamp [im Original zuerst 1957].
Bartmanski, Dominik / Woodward, Ian (2015b): Vinyl: The Analogue Record in the Digital Age. London, New York: Bloomsbury.
Boltanski, Luc / Esquerre, Arnaud (2018): Bereicherung. Eine Kritik der Ware. Berlin: Suhrkamp.
Diederichsen, Diedrich (2014): Über Pop-Musik. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Magaudda, Paolo (2011): When Materiality 'Bites Back': Digital Music Consumption Practices in the Age of Dematerialization. In: Journal of Consumer Culture, Vol. 11(1): 15-36.
Reynolds, Simon (2011): Retromania: Pop Culture's Addiction to Its Own Past. London: Faber & Faber.
Sax, David (2016): The Revenge of Analog: Real Things and Why They Matter. New York: Public Affairs.
Shuker, Roy (2010): Wax Trash and Vinyl Junkies: Record Collecting as a Social Practice. Aldershot: Ashgate.
Yochim, Emily Chivers / Biddinger, Megan (2008): 'It Kind of Gives You That Vintage Feel': Vinyl Records and the Trope of Death. In: Media, Culture and Society, Vol. 30(2): 183-195.
Vortrag auf Veranstaltung: Digitale Kommunikation und Kommunikationsgeschichte: Perspektiven, Potentiale, Problemfelder
Veranstaltungsort: Bremen
Datum: 16.01.2019 bis 18.01.2019
Weiterführende Links:
Programm der Tagung 'Digitale Kommunikation und Kommunikationsgeschichte: Perspektiven, Potentiale, Problemfelder' (16.-18.01.2019)
Autoren
- Name:
- Prof. Dr. Holger Lund (DHBW Ravensburg)
- Name:
- Prof. Dr. Burkard Michel
- Forschungsgebiet:
- Mitglied im Forschungsleuchtturm „Creative Industries and Media Society“; Qualitative Sozialforschung (insbes. Dokumentarische Methode): Gruppendiskussionsverfahren, Bild- und Videoanalyse, Konsum- und Rezeptionsforschung.
- Funktion:
- Professor
- Lehrgebiet:
- Werbung in AV-Medien, Konsumforschung, Mediaplanung, Qualitative Sozialforschung, Bildkommunikation, Creative Industries.
- Studiengang:
- Werbung und Marktkommunikation (Bachelor, 7 Semester)
- Fakultät:
- Fakultät Electronic Media
- Raum:
- 216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
- Telefon:
- 0711 8923-2230
- Name:
- Prof. Dr. Oliver Zöllner
- Forschungsgebiet:
- Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
- Funktion:
- Professor
- Lehrgebiet:
- Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
- Studiengang:
- Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
- Fakultät:
- Fakultät Electronic Media
- Raum:
- 216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
- Telefon:
- 0711 8923-2281
- Telefax:
- 0711 8923-2206
- E-Mail:
- zoellner@hdm-stuttgart.de
- Homepage:
- https://www.oliverzoellner.de
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