Staatsmodernisierung, Verwaltungstransformation und Künstliche Intelligenz
Ethische Aspekte der Digitalisierung
Die fortschreitende Digitalisierung verändert auf der Mikroebene den Alltag vieler Menschen. Sie hat auf der Makroebene auch tiefgreifende Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Kultur. Aber wie schaut es auf der Mesoebene der Institutionen und Organisationen aus, dem Bindeglied zwischen Menschen und ihrer Gesellschaft? Wie beeinflussen die Digitalisierung und insbesondere die Einführung Künstlicher Intelligenz (KI) den Staat und seine Behörden - die "Verwaltung" - und ihre Beziehungen zu ihren Anspruchseignern, eben den Bürgern? Diesen spannenden Fragen widmete sich am 9. September 2019 die Zweite Wissenschaftliche Konferenz "Staatsmodernisierung und Verwaltungstransformation" des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums (NEGZ). Kongenialer Austragungsort war der Plenarsaal des Schleswig-Holsteinischen Landtags in Kiel. HdM-Professor Oliver Zöllner war eingeladen worden, eine Keynote zum Thema "Ethische Aspekte der Digitalisierung" beizutragen.
In seiner Keynote führte Zöllner in zentrale Fragestellungen der Digitalisierung ein. Was machen wir gegenwärtig mit digitalen Anwendungen, was machen sie mit uns - und was erwartet uns in der näheren Zukunft unter dem Schlagwort "Künstliche Intelligenz"? Viele Chancen stecken in KI-Anwendungen, aber auch manche Risiken. Wie wollen wir Menschen mit ihr umgehen? Welche neuen Fragestellungen sind mit der KI verbunden? Führt künstliche Intelligenz zu einem besseren Staatshandeln, zu einer besseren öffentlichen Verwaltung? Die "Voraussetzung dafür ist (...) der entsprechend große Zugriff auf auch sehr persönliche Daten. Algorithmen und vor allem künstliche Intelligenz können nur dann das volle Potential ausschöpfen, wenn entsprechende Datenmengen zur Verfügung stehen", wie ein Beitrag des Deutschlandfunks Kultur darlegt. Aber in welcher Form tritt 'das Amt' den Bürgern dann entgegen? Wie lässt die Verwaltung die Bürger durch die neuen Dienstleistungen des eGovernment navigieren? Nicht von der Hand zu weisen ist die Sorge, der Staat könnte wie ein gewinnorientiertes Online-Warenhaus daherkommen und in dieser Logik z. B. unbotmäßig viele bzw. detaillierte Daten abfordern. Aber wird das dem KI-Einsatz in hoheitlichen Kontexten, also nicht zuletzt: im Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern, wirklich gerecht?
Zöllners Vortrag legte dar, dass wir zur Formulierung und Beantwortung solcher und weiterer Fragestellungen ein Konzept benötigen und stellte in diesem Zuge als Analyse- und Denkkonzept die Digitale Ethik vor. Dabei wurde deutlich, dass konsequentialistische bzw. utilitaristische Ansätze der Ethik (gleichsam Modelle der algorithmischen Folgenkaskaden) für eine KI quasi der natürliche Bündnispartner sind. Künstliche Intelligenzen werden aber wohl niemals deontologisch oder tugendethisch orientiert handeln können (falls sie überhaupt "handeln" können), da ihnen für die Erkenntnis und Akzeptanz von Pflichten, Rechten, Maximen oder von Glück und Erfüllung schlicht das Konzept fehlt. Eudaimonia oder ein kategorischer Imperativ sind nicht ohne Weiteres programmierbar (auch wenn wir noch nicht wissen, was vielleicht in der Zukunft programmierbar sein wird).
Die Fähigkeit zur ethischen Reflexion, was es heißt, ein Gemeinwesen gemeinsam zu gestalten, und auch darüber, wie man es verantwortlich gestalten sollte, ist Ausdruck genuin humaner Intelligenz, die ein demokratischer Staat im besten Falle nicht Maschinen und Algorithmen überlassen sollte, so Zöllner. Was es heißt, wenn ein durchaus grassierender technologischer Nihilismus um sicht greift, der uns dazu verleitet, nicht mehr nachdenken zu müssen oder zu wollen, hat der Philosoph Nolen Gertz prägnant auf den Punkt gebracht: "Governance by nonhuman bureaucrats – otherwise known as algorithms – can make citizens feel safe from bias and prejudice and can make political leaders feel safe from being accused of being biased and prejudiced" (2019, S. 184). Dies kann uns nicht genug sein.
Die Thesen der Keynote wurden anschließend in einer Podiumsdiskussion unter reger Beteiligung aller Konferenzteilnehmer*innen weiter vertieft. Zöllners Mitdiskutanten waren Prof. Dr. Peter Parycek vom Kompetenzzentrum für Öffentliche IT (ÖFIT) am Fraunhofer FOKUS Institut sowie Hochschullehrer an der Donau-Universität Krems und Mitglied des Digitalrats der deutschen Bundesregierung, und Prof. Dr. Utz Schliesky, der Direktor des Schleswig-Holsteinischen Landtags sowie geschäftsführender Vorstand des Lorenz-von-Stein-Instituts an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Eine volle Stunde angeregten Austausches über Digitalisierung und Digitale Ethik waren ein Privileg und ein Vergnügen!
Vortrag auf Veranstaltung: Wissenschaftliche Konferenz 'Staatsmodernisierung und Verwaltungstransformation'
Veranstaltungsort: Kiel
Datum: 09.09.2019
Weiterführende Links:
Programm der zweiten wissenschaftlichen Konferenz 'Staatsmodernisierung und Verwaltungstransformation'
Website des Nationalen E-Government Kompetenzzentrums (NEGZ)
Website des Instituts für Digitale Ethik der HdM Stuttgart
Autoren
- Name:
- Prof. Dr. Oliver Zöllner
- Forschungsgebiet:
- Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
- Funktion:
- Professor
- Lehrgebiet:
- Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
- Studiengang:
- Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
- Fakultät:
- Fakultät Electronic Media
- Raum:
- 216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
- Telefon:
- 0711 8923-2281
- Telefax:
- 0711 8923-2206
- E-Mail:
- zoellner@hdm-stuttgart.de
- Homepage:
- https://www.oliverzoellner.de
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