Aufsatz

Der Stand der Dinge

Analoge und digitale Tonträger, Dinglichkeit und Vernutzung – und was Heidegger dazu gesagt hätte

Zöllners Beitrag ist im Band
Zöllners Beitrag ist im Band "Der Stand der Dinge" erschienen, herausgegeben von Jan Beuerbach, Kathrin Sonntag und Amelie Stuart (Foto: Oliver Zöllner).

In einem frisch erschienenen Sammel­band zu Theorien der Aneignung und des Gebrauchs von Dingen ist HdM-Professor Oliver Zöllner mit einem Beitrag zum Thema "Tont­räger, Ding­lich­keit und Vernutzung. Nähe-, Werk- und Weltrelationen im Analogen und Digitalen" vertreten. Der Beitrag ist die Ausar­beitung eines Vor­trags auf der Konferenz "Der Stand der Dinge" an der Univer­sität Leipzig, die dem Buch seinen Namen gegeben hat.

Zöllners Beitrag analysiert am Beispiel von Tonträgern (Schall­platten und Compact Discs) bzw. Klang­speichern (Spotify & Co.), wie diese auf je unterschiedliche Nähe-, Werk- und Welt­relationen verweisen. Sind die Vinyl­schall­platte und die CD als physische Tonträger noch nahe bei ihren Nutzern und der Nutzungs­situation, ersetzt das weit­gehend entmateriali­sierte Streaming diese Nähe mit einem Abruf von Dateien von weiter her. Während Schall­platte und CD ein Werk gewissermaßen ein­fangen und hierfür als klassische Speichermedien eine dingliche Rahmung anbieten, löst das Streaming diesen Werk­charakter weitgehend auf und bietet statt­dessen relativ fluide Playlists an. Der Ressourcen­verbrauch (Öl, Strom usw.), der allen drei betrachteten Medienformaten zu eigen und durchaus erheblich ist, ist für die Musikrezipienten weitgehend ein blinder Fleck bzw. wird in einem nihilis­tischen Habitus der Technik­aneignung weitgehend negiert. Vollends aus dem Blick gerät dabei die grundsätzliche Trans­formation von Dingen wie Tonträgern bzw. Musikanlagen von zu nutzenden Gegen­ständen hin zu Systemen, die den Menschen "vernutzen", wie Martin Heidegger (1949) es in seinem Ansatz der Technik­philosophie ausgedrückt hat. Dies geschieht, indem der Mensch im Digitalen als Ressource ausgebeutet und zum Diener des technischen Systems wird, etwa dadurch, dass beim Streaming permanent seine Daten protokolliert, gespeichert und zu kommerziellen Zwecken ausgewertet werden. Wenn die Vinyl­schall­platte im Gegenzug von ihren Liebhabern als widerständiges Medienformat aufgefasst wird, so ist auch diese Haltung nihilistisch, denn sie negiert den erheblichen Ressourcen­verbrauch dieses Tonträgers wie auch die dialektische Tatsache, dass er im Kontext seiner Sammler- und Anlageform längst auf digitale Platt­formen zur Wertfindung wie auch zum An- und Verkauf ausgreift und zunehmend auf sie angewiesen ist. Irgendwie dachte man ja, im Digitalen seien die Dinge ins Immaterielle entfleucht, aber sie sind physisch wie eh und je in der Welt und erfordern unsere analytische Aufmerksamkeit.


Erschienen in:

Der Stand der Dinge. Theorien der Aneignung und des Gebrauchs
Auf den Seiten: 121-136
Autoren: Zöllner, Oliver
Hrsg.: Jan Beuerbach, Kathrin Sonntag und Amelie Stuart
Erscheinungsjahr: 2022
Verlag: Schwabe
Ort: Basel

Weiterführende Links:
https://schwabe.ch/der-stand-der-dinge-978-3-7965-4591-7


Autoren

Name:
Prof. Dr. Oliver Zöllner  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
Funktion:
Professor
Lehrgebiet:
Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
Raum:
216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Telefon:
0711 8923-2281
Telefax:
0711 8923-2206
E-Mail:
zoellner@hdm-stuttgart.de
Homepage:
https://www.oliverzoellner.de
Oliver Zöllner

Eingetragen von

Name:
Prof. Dr. Oliver Zöllner  Elektronische Visitenkarte


Mehr zu diesem Autor