Künstliche Intelligenz, Gesellschaft und Demokratie
Ethische Perspektiven
Am 8. Juni 2022 hielt HdM-Professor Oliver Zöllner einen Vortrag zum Thema "Künstliche Intelligenz, Gesellschaft und Demokratie: Ethische Perspektiven" an der Universität Gießen. Eingeladen hatte ihn seine Kollegin Susanne Mantel zum Collegium Gissenum, einer Ringvorlesung des Instituts für Philosophie der Justus-Liebig-Universität, die im Sommersemester 2022 unter dem Leitthema "Die gesellschaftliche Macht künstlicher Intelligenz: Ein Problem für Ethik und Politik" stand.
In seinem Vortrag zeigte Zöllner auf, wie der allmähliche Einzug von Algorithmen und maschinellem Lernen in den digitalisierten Alltag sehr vieler Menschen zu einer Art Normalisierung dieser neuen Art von Entscheidungsfindung führt. Indem Algorithmen auf der Basis statistischer Wahrscheinlichkeiten Vorschläge für den nächsten Klick, View, Song oder Film der Nutzer:innen machen, entbinden sie letztere oftmals von einer eigenständigen autonomen Entscheidung. Dies ist − ganz im Sinne der klassischen Verheißungen des Internets (Schnelligkeit! Bequemlichkeit! Funktionalität!) − im Kontext einer nihilistischen Haltung vieler Akteure zu sehen. Indem Menschen Verantwortung an so genannte Künstliche Intelligenzen abgeben, müssen sie keine eigene Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen, so scheint es.
Mit Blick auf demokratische Prozesse wird diese weithin geübte Praxis problematisch, wenn es nicht einfach bloß um irgendeinen nächsten Klick oder 'Like' geht, sondern um politische Entscheidungen, also die vornehmste und wichtigste Aufgabe von Bürger:innen. Zöllner verwies in seinem Vortrag exemplarisch auf den Cambridge-Analytica-Skandal, bei dem ohne Wissen und ohne Zustimmung von Profilinhaber:innen deren Facebook-Views experimentell in bestimmte parteipolitische Richtungen gelenkt wurden, was möglicherweise bei diesen Personen zu einer unbotmäßigen Beeinflussung ihrer Wahlentscheidung im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 geführt hat. Eine große Aufmerksamkeit für Fake News, Desinformation und Verschwörungsmythen aller Art schloss sich an.
Algorithmen verändern Formen gesellschaftlicher Kommunikation
Auch dies ist im Kontext größerer gesellschaftlicher Veränderungen zu sehen. Sozialität findet in der digitalen Gegenwart neue Ausdrucksformen: Viele Menschen bilden mehr oder weniger abgegrenzte Communities rund um bestimmte Themen; Algorithmen erleichtern und unterstützen die Genese von Filterblasen und Echokammern. Es wird zunehmend schwieriger, gesellschaftlichen Zusammenhalt aufrecht zu erhalten, wenn die gemeinsam geteilten Themen und Werte weniger werden. Ganz neu sind diese Probleme zugegebenermaßen nicht − die algorithmische Organisation öffentlicher Diskurse hat solche Phänomene aber möglicherweise verstärkt. Hinzu kommen allmähliche Veränderungen des menschlichen Selbstbildes: zunehmend weg vom (seit der europäischen Aufklärung vorherrschenden) Ideal des autonomen, individuellen Selbst hin zu einer stärker heteronomen, 'relationalen' Positionierung, wie man sie bei sozialen Online-Netzwerken beobachten kann. Alle sind mit allen verbunden bzw. vernetzt, aber eben nur virtuell und oft eher oberflächlich, und orientieren sich permanent aneinander. Das birgt neue Chancen, aber auch neue Risiken in sich.
Am Ende des Vortrags stand Zöllners Plädoyer für mehr Reflexion, mehr Nachdenken über die Veränderungsprozesse, die in der Digitalisierung angestoßen werden, und für mehr reflexive Medien- bzw. Digitalitätskompetenz, also für einen umfassenden Bildungsansatz auch jenseits der Vermittlung von bloß instrumentellen digitalitätsbezogenen Fertigkeiten wie z. B. Programmierkenntnissen. Letztere sind wichtig, aber im Sinne einer Digitalen Ethik sind auch die klassischen Fragen zu stellen, die den Menschen in den Fokus rücken: Was für ein Mensch will ich sein? In was für einer Gesellschaft will ich leben? Welche Rollen sollen dabei digitale Werkzeuge einnehmen?
Vortrag auf Veranstaltung: Collegium Gissenum: Die gesellschaftliche Macht künstlicher Intelligenz: Ein Problem für Ethik und Politik
Veranstaltungsort: Justus-Liebig-Universität Gießen
Datum: 08.06.2022
Weiterführende Links:
Das Collegium Gissenum im Sommersemester 2022 (Übersicht der Vorträge)
Autoren
- Name:
- Prof. Dr. Oliver Zöllner
- Forschungsgebiet:
- Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
- Funktion:
- Professor
- Lehrgebiet:
- Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
- Studiengang:
- Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
- Fakultät:
- Fakultät Electronic Media
- Raum:
- 216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
- Telefon:
- 0711 8923-2281
- Telefax:
- 0711 8923-2206
- E-Mail:
- zoellner@hdm-stuttgart.de
- Homepage:
- https://www.oliverzoellner.de
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