Vortrag

Digitalisierung und die Frage nach dem 'glücklichen Leben'

Wie kann man mit digitalen Medien ein gutes Leben führen? Die Digitale Ethik will Reflexions- und Lösungsansätze aufzeigen
Wie kann man mit digitalen Medien ein gutes Leben führen? Die Digitale Ethik will Reflexions- und Lösungsansätze aufzeigen

Der umfassende Metaprozess der Globalisierung hat seit den 1970er-Jahren vielen Menschen und Unternehmen zahlreiche Chancen eröffnet, aber auch Risiken mit sich gebracht. Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung ab den 1990er-Jahren sind diese Möglichkeiten und Risiken inzwischen längst auch spürbar "lokal" angekommen: bei jedem Menschen, der in irgendeiner Weise vernetzt ist (und z.B. einkauft), und beim sprichwörtlichen Händler "um die Ecke", der oftmals in Konkurrenz steht zu Onlinehändlern. Grund genug für einen Gesprächskreis baden-württembergischer Unternehmer unter der Leitung von Nam Nguyen, sich Hintergründe dieser Trends erläutern zu lassen. Vortragende am 9. Oktober 2016 waren HdM-Professor Oliver Zöllner vom Institut für Digitale Ethik und Christian Riethmüller, der Geschäftsführer der örtlichen Osianderschen Buchhandlung GmbH, einem vor allem im Süden der Republik mit rund 40 Läden und nicht zuletzt stark im Internet vertretenen Filialisten. Oberthema des Gesprächskreises war "Digitalisierung 4.0 – das globalisierte  Yin-Yang-Prinzip  des 21. Jahrhunderts".

In seinem Vortrag "Digitalisierung und die Frage nach dem 'glücklichen Leben'" stellte Oliver Zöllner das Konzept und Themenstellungen der Digitalen Ethik vor. In einer aristotelischen, tugendethischen Perspektive steht hier die Frage nach dem guten, gelingenden, glücklichen Leben - der eudaimonia - im Mittelpunkt: Wie kann der Einzelne im Verlauf seines Lebens, Schritt für Schritt, sich in seiner Alltagspraxis, also mit seinen Entscheidungen, bestimmte Dinge zu tun oder zu unterlassen, bemühen, ein vortreffliches Leben gemeinsam mit den Anderen zu führen? Man denke hier exemplarisch etwa an die Frage (die auch vom Publikum gestellt wurde), ob es angemessen oder "gut" ist, den Messaging-Dienst WhatsApp zu nutzen - im Wissen um die Tatsache, dass das Programm WhatsApp auf alle gespeicherten Kontakte des eigenen Smartphones zugreift (und damit die Vertraulichkeit dieser privaten Daten verletzt) und die Firma WhatsApp vielfältige Profil- und Nutzungsdaten der User an ihre Mutterfirma Facebook (u.a.) weitergibt. Es zeichne sich ab, so Zöllner, dass sich im Zuge und unter dem Einfluss der Digitalisierung das Bild des Menschen von sich selbst ändert: weg vom autonomen, individuellen Selbst der "Gutenberg-Galaxis" (Buchkultur), allmählich hin zum heteronomen, "relationalen" Selbst der Netzwerk-Kultur, für das Privatheit ergo nicht mehr so bedeutsam ist.

Neben klassischen westlichen Perspektiven auf (Medien-)Ethik griff Oliver Zöllner, dem Veranstaltungsthema folgend, auch klassische fernöstliche Ethikkonzeptionen auf, die sich aus Daoismus, Zen-Buddhismus und Konfuzianismus speisen. In dieser Denktradition stehen - durchaus im Sinne eines "relationalen Selbst" - stark die Verbindung mit Anderen und das Umgehen mit Paradoxien und Widersprüchen im Vordergrund. Ebenso können die in östlichen Ethiken angelegte Betonung von permanentem Wandel (Innovationsfähigkeit), gegenseitige Rücksichtnahme und die Respektierung von Privatheit durchaus als geeignete Kompetenzen und Tugenden im Zeitalter der Digitalität identifiziert werden. Wir werden im Netzzeitalter immer "östlicher", fasste es Zöllner pointierend zusammen (unverkennbar ein Rückgriff auf die Thesen von Marshall McLuhan, die inzwischen auch im Kontext der Digitalen Ethik wiederentdeckt werden) - und das ist auch als Kompetenz zu verstehen.

Den zweiten Vortrag des Abends steuerte Christian Riethmüller von der Osianderschen Buchhandlung bei, der sehr detailliert die Wandlungsprozesse seiner Branche im Zuge der Digitalisierung vorstellte. Er widmete dem Beziehungsmanagement in Richtung Kunden großes Augenmerk - ein Aspekt, der den stationären Buchhandel letztlich von globalen Marktgrößen wie Amazon abhebt (wobei letzterer unlängst in den USA sein erstes stationäres Ladenlokal eröffnet hat). Riethmüller zeigte aber auch auf, wie sein Unternehmen sehr erfolgreich im Internethandel präsent ist.

Das Ende der "Gutenberg-Galaxis" mag also noch nicht gekommen sein (es werden noch Bücher gekauft und gelesen!), aber es wird heute anders gelesen (Verkaufsschlager eBook!) und auf andere Art Bücher entdeckt und gekauft; die lineare Schriftkultur wird im frühen 21. Jahrhundert zunehmend verdrängt durch eine eher zirkulär und oral orientierte Netzwerk-Kultur (digital natives!). Aber der allumfassende Sieg von Amazon & Co. steht keineswegs fest.

Vortrag auf Veranstaltung: Themengespräch 'Digitalisierung 4.0 – das globalisierte Yin-Yang-Prinzip des 21. Jahrhunderts'
Veranstaltungsort: Tübingen
Datum: 09.10.2016

Weiterführende Links:
Artikel der Süddeutschen Zeitung zum digitalen Expansionskurs deutscher Buchhandels-Filialisten


Autoren

Name:
Prof. Dr. Oliver Zöllner  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
Funktion:
Professor
Lehrgebiet:
Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
Raum:
216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Telefon:
0711 8923-2281
Telefax:
0711 8923-2206
E-Mail:
zoellner@hdm-stuttgart.de
Homepage:
https://www.oliverzoellner.de
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