Fake News und die Frage der Wahrheit
"Fake News" und "Postfaktizität" sind die Schlagworte im Jahr 2017. Wie kommen gefälschte Nachrichten in die Welt? Wer stellt sie her, zu welchem Zweck, mit welchen Funktionen? Wer adelt sie zu "alternativen Fakten"? Wie kann man als Mediennutzer mit dieser neuen Unsicherheit umgehen? HdM-Professor Oliver Zöllner hat zum Thema "Fake News, Bots und digitaler Wahlkampf" am 10. Juli 2017 einen Vortrag an der Volkshochschule Köln gehalten und mit seinen Zuhörern diskutiert.
Im Zuge des sehr umfassenden Prozesses der Digitalisierung haben sich etliche Muster der Mediennutzung und der Weltwahrnehmung verändert. Althergebrachte Werte und Orientierungen seien dabei verloren gegangen, so Zöllner zu Beginn seines Vortrags, in dem er auch das Konzept der Digitalen Ethik vorstellte. Die fortschreitende "Netzwerkisierung" der Gesellschaft (Facebook, Instagram und Twitter sind hier lediglich exemplarisch zu nennen) und eine enorme Vergößerung des Angebotes an Informationsquellen (die öfter auch pseudo-journalistisch oder gar propagandistisch aufträten) hätten dazu geführt, dass Falschinformationen eine zunehmend größere Verbreitung und Resonanz erführen. Besonders bedenklich sei, dass auch Staaten bzw. Regierungen solche Aktivitäten zunehmend befeuerten, etwa Russland mit seiner Plattform "RT" (Russia Today, auch mit einem populären deutschsprachigen Angebot im Netz präsent) oder die neue US-Regierung unter Präsident Trump mit ihrem Einsatz von "alternative Fakten" und mit einem Chefstrategen namens Stephen Bannon, der zuvor Chefredakteur der Rechtsaußen-Website "Breitbart News" war.
Oliver Zöllner machte diese neuen, strukturell aber altbekannten Mechanismen falscher Nachrichten (vulgo Propaganda) an einem Beispiel aus dem Frühjahr 2017 deutlich: Wenn Präsident Trump am Samstagmorgen, 4. März 2017, um 5.35 Uhr eine Serie von Tweets verschickt, in denen er seinem Amtsvorgänger Obama vorwirft, ihn abgehört zu haben, gehen diese quasi regierungsamtlichen Mitteilungen auf lange zuvor schon kursierende unwahre Geschichten zurück, wie sie von "Breitbart News" und anderen verschwörungstheoretisch orientierten Websites verbreitet worden sind. Das affine Publikum bekommt diese Stories, die teilweise auch von Social Bots verfasst bzw. massiv verbreitet werden, über soziale Online-Netzwerke - algorithmisch gesteuert - immer wieder vorgesetzt. In dieser eigenen Filterblase erlebt der Rezipient eine Art Echokammer-Effekt. Und irgendetwas von derartigen Anschuldigungen oder Gerüchten bleibt bekanntlich hängen, egal ob wahr oder falsch.
In den Social Media werden solche unbewiesenen Tatsachenbehauptungen in großem Stil geteilt und damit weitergeleitet. Indem Trump sie nun erneut aufkocht, werden solche Fake News nun gar zur regulären Nachricht, in alle Richtungen kommentiert und in großem Maßstab weiter verbreitet - und zwar auf allen Medienkanälen. Die Fake News werden so regelrecht zu Real News geadelt. Dies wiederum trägt auf Seiten vieler Mediennutzer oft dazu bei, recht undifferenziert an der Wahrhaftigheit der Medienberichterstattung insgesamt zu zweifeln - und bereitet somit den Boden für die Akzeptanz "alternativer" Informationen von außerhalb des medialen Mainstreams. Fake News sind eine Art sich selbst erfüllende Prophezeihung.
Dies sind im Prinzip keine neuen Mechanismen; auch die Nationalsozialisten und die Sowjets haben sie in ihrer Propaganda angewandt. Das übergeordnete Ziel solcher Aktivitäten ist letztlich, gegnerische Gesellschaften zu destabilisieren. Im Falle Russlands ist dieser Gegner explizit der "Westen", im Falle der Trump-Administration scheint es - noch relativ diffus - die liberale Gesellschaftsordnung zu sein, die bekämpft werden soll. Es deuten sich hier fundamentale Veränderungen und Verschiebungen an, die weiter beobachtet und analysiert werden müssten, so Zöllner.
In der abschließenden engagierten Diskussion hat das Kölner Publikum Möglichkeiten erörtert, mit diesen neuen Herausforderungen umzugehen. Deutlich wurde dabei durchaus ein schwächer gewordenes Vertrauen in die Wahrhaftigkeit mancher medialer Berichterstattung. Nicht zuletzt für anstehende Wahlkämpfe, darüber waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einig, sind Kenntnisse von den Mechanismen des Mediensystems, der Netzwerkeffekte und von Big Data enorm wichtig. Am Ende blieb aber die Frage offen, was der/die Einzelne ausrichten kann angesichts der Übermacht der Netzwerke. Aber immerhin: Die Machtfrage wurde diskutiert und bewusst gemacht - und das ist in der weitgehend entpolitisierten Gegenwart schon mal nicht wenig.
Veranstaltungsort: VHS KölnDatum: 10.07.2017
Weiterführende Links:
Ankündigungstext der VHS Köln
Autoren
- Name:
- Prof. Dr. Oliver Zöllner
- Forschungsgebiet:
- Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
- Funktion:
- Professor
- Lehrgebiet:
- Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
- Studiengang:
- Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
- Fakultät:
- Fakultät Electronic Media
- Raum:
- 216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
- Telefon:
- 0711 8923-2281
- Telefax:
- 0711 8923-2206
- E-Mail:
- zoellner@hdm-stuttgart.de
- Homepage:
- https://www.oliverzoellner.de
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