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Können Instagram-Bilder helfen, Depressionen zu entdecken?

Eine Studie, die 2016 über die Fachwelt hinaus Aufsehen erregt hat

Können Bilder in Social Media auf Depressionen verweisen? (Grafik: Oliver Zöllner)
Können Bilder in Social Media auf Depressionen verweisen? (Grafik: Oliver Zöllner)

Von Oliver Zöllner

"Instagram photos reveal predictive markers of depression", betitelten Andrew Reece und Christopher Danforth ihre Mitte 2016 erschienene Studie, in der sie nahelegen, dass von Nutzern auf dem sozialen Online-Netzwerk Instagram gepostete Bilder Vorhersagen über deren Neigung zu Verstimmung oder Depressionen zulassen. Die beiden Forscher haben hierzu aus 43.950 Fotos von 166 Freiwilligen gut 13.000 Bilder ausgewählt und näher untersuchen lassen.

Kategorien der Bildanalyse waren quantitativ-standardisierbare Merkmale wie Farbe, Helligkeit und das Vorkommen von Gesichtern sowie eher qualitativ-subjektive Kategorien wie Glück, Traurigkeit, Liebenswürdigkeit des Ausdrucks und Interessantheit. Die Autoren kamen zu dem Schluss, dass eine erhöhte Farbtönung zusammen mit verminderter Helligkeit und Farbsättigung des Bildes Hinweise auf eine Depression des Instagram-Nutzers zuließen. Die Kernaussage lautet: Depressive Menschen zeigten eher Bilder, die blauer, grauer und dunkler sind; zudem posteten sie mit größerer Wahrscheinlichkeit Bilder mit Gesichtern, aber mit tendenziell weniger Gesichtern im Einzelbild.

Die Ergebnisse der Studie sind weltweit von zahlreichen Medien aufgegriffen worden. Die Tageszeitung "Südkurier" (Konstanz) nahm sie zum Anlass, HdM-Professor Oliver Zöllner vom Institut für Digitale Ethik zu interviewen, der eine medienwissenschaftlich-ethische Sicht vertrat. Die medizinische Perspektive nahm die Neurologin Dr. Sabine Zöllner ein. Die beiden kamen in ihrem Interview (in: Südkurier, Nr. 214 vom 14.8.2016, S. 15) zu dem Schluss, dass die Forschungsarbeit der amerikanischen Autoren zwar hoch interessant sei, zu einem stichhaltigen Beleg für die These aber einige weitere Faktoren mehr gehörten: So leicht, also nur auf der Basis von Profilbildern, und so eindeutig, also zweifelsfrei, ließe sich etwa eine depressive Verstimmung oder gar eine handfeste Depression in ihrer Komplexität nicht diagnostizieren. Zöllner und Zöllner machten nicht zuletzt methodische Einwände geltend: Die Stichprobe von nur 166 Personen, die sich selbst als Probanden ausgewählt hatten und die von den Forschern letztlich ausgewählte Nettostichprobe von nur 13.189 Bildern sei zu klein und zu verzerrt, um valide und reliable Aussagen liefern zu können. Es gebe zudem bei nicht wenigen von einer Depression betroffenen Menschen die Neigung, offen und geradezu "expressiv" mit ihrer Störung umzugehen - besonders, wenn sie therapieerfahren seien, also gelernt hätten, mit ihrer Depression umzugehen. Eine solche Neigung spiele stark in eine nicht zufallsbasierte, selbstselektive Stichprobe hinein.

Wenn man sich in die Methodik der Studie etwas tiefer einliest, fällt auch auf, dass die Zuordnung der Profilbilder zu den quantitativen und qualitativen Analysekategorien, also Farbton, Farbsättigung, Glück, Traurigkeit usw., von schlecht bezahlten "Clickworkern" über Amazons Plattform "Mechanical Turk" vorgenommen worden ist. Bei ein paar Cent Entlohnung für jeden Klick ist Akkuratesse selten zu erwarten; auch forschungsethisch sei dieses Vorgehen zu kritisieren. Die Studie von Reece und Danforth ist zudem bisher noch nicht unabhängig überprüft worden; ihre Ergebnisse sind als rein vorläufige Erkenntnisse zu werten. Es sei bei plakativen Aussagen, die eine große Medienkarriere durchlaufen, also große Vorsicht anzuraten, so Zöllner und Zöllner: Diagnosen über das Vorliegen einer depressiven Verstimmung oder einer schweren Depression sollten nur Fachkundige treffen, die den Patienten persönlich untersuchen - "Ferndiagnosen per Internet" seien keine geeignete Alternative zum Besuch beim Psychologen oder Facharzt für Psychiatrie.

Die fachlichen und ethischen Probleme der Studie gingen laut Zöllner und Zöllner noch weiter: Reece und Danforth deuten an, dass man in Zukunft klinische Verstimmungen und Depressionen per Bildanalyse automatisiert und maschinell, also algorithmisch basiert, erkennen könne. Dies sei natürlich auf den ersten Blick attraktiv, so Zöllner und Zöllner, vor allem, um vor dem Hintergrund einer um sich greifenden Ökonomisierung Kosten im Gesundheitssektor zu sparen: Computer sind billiger als Ärzte, aber ist das die Lösung? Und wie sei dem Problem der maschinellen Fehldiagnosen oder laienhaften Interpretationen beizukommen, die oft auf allzu schlichten Bewertungskategorien beruhten? Es gebe in der Gesellschaft die Neigung, sich blind auf scheinbar "objektive" Befunde eines auf den ersten Blick "objektiven" Versuchsaufbaus zu verlassen, etwa auf Seiten von Krankenversicherungen und Arbeitgebern. Als Folgen dieser Haltung seien negative Konsequenzen für einzelne Arbeitnehmer vorstellbar, aber auch gesamtgesellschaftlich ein neuer Druck, vorgeblich "freiwillig" an Massenscreenings teilzunehmen: zunächst mit einem Bonus für die Teilnehmenden, bald aber mit einem Malus für die "Verweigerer" verbunden. Und was ist, wenn jemand seine Social-Media-Profile nicht einsehbar machen möchte? Heißt es dann, er/sie habe etwas zu verbergen? Oder wenn Menschen nicht einmal über Social-Media-Profile verfügen? Schnell ergeben sich hier neue Arten von sozialem Druck, Stigmatisierung und eine Umkehr der Beweispflicht: Verdächtig wird, wer keine Daten liefert. Zuletzt gaben Sabine und Oliver Zöllner in ihrem Interview auch zu bedenken, dass nicht übersehen werden sollte, dass manche Menschen dunkle Farben auch einfach mögen können, ohne deswegen gleich eine Neigung zur Depression zu haben. Schwarz, blau oder grau können durchaus kleidsam sein oder schlicht chic.

Die Beiträge im "Südkurier":

• Isabelle Arndt: Sagen Bilder mehr als tausend Worte? In: Südkurier (Konstanz), 72. Jahrg., Nr. 214 (14.9.), S. 14-15.

• Oliver Zöllner/Sabine Zöllner: "Da gehören einige Faktoren mehr dazu" [Interview]. In: Südkurier (Konstanz), 72. Jahrg., Nr. 214 (14.9.), S. 15


Weiterführende Links:
Andrew G. Reece, Christopher M. Danforth: Instagram photos reveal predictive markers of depression. Online in: arXiv:1608.03282


Autoren

Name:
Prof. Dr. Oliver Zöllner  Elektronische Visitenkarte
Forschungsgebiet:
Digitale Ethik, Empirische Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Public Diplomacy
Funktion:
Professor
Lehrgebiet:
Medienforschung, Soziologie der Medienkommunikation, Digitale Ethik, Public Diplomacy, Nation Branding, Hörfunkjournalismus
Studiengang:
Medienwirtschaft (Bachelor, 7 Semester)
Fakultät:
Fakultät Electronic Media
Raum:
216, Nobelstraße 10 (Hörsaalbau)
Telefon:
0711 8923-2281
Telefax:
0711 8923-2206
E-Mail:
zoellner@hdm-stuttgart.de
Homepage:
https://www.oliverzoellner.de
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