Kann KI Krankenhaus? Rollenspiele zur Förderung ethischer Reflexionskompetenz im Gesundheitswesen
Kann Bildung mehr als nur PowerPoint-Folien? Diese Frage stellt Jan Doria, Akademischer Mitarbeiter am Institut für Digitale Ethik (IDE), in seinem jüngst erschienen Aufsatz für die Schriftenreihe Medienethik | Digitale Ethik. Dort berichtet er von einem "Lehrexperiment", das im Sommersemester 2023 an der Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM) stattgefunden hat: Studierende simulieren das fiktive "Luisenkrankenhaus", das KI-Technologien im Klinikalltag etablieren möchte ‒ und nach kontroverser Diskussion eine konsensuale Strategie ausarbeitet.
Der Beitrag konzentriert sich vor allem auf die konzeptionell-didaktischen Hintergründe von Rollenspielen als Lehrmethode. Unter Rückgriff auf narratologische Ansätze der Mediensemiotik arbeitet Doria heraus, dass Rollenspiele geeignet sind, um eigenständige Weltmodelle im Handeln, Fühlen und Erleben der Seminarteilnehmer hervorzubringen. Als Lehrmethode eignen sie sich daher, um einen im Vergleich zu herkömmlichen Lehrmethoden deutlich höheren Partizipationsgrad zu erreichen ‒ sind dabei jedoch als äußerst voraussetzungsreich zu betrachten: So erforderten Rollenspiele vor allem eine intensive Vor- und Nachbereitung, eine erfahrene Lehrperson und eine "Entrollung" am Ende des Spieldurchlaufs, also ein bewusstes Heraustreten aus der Spielrolle. Gelingt dies, so kann der Einsatz von Rollenspielen als Lehrmethode dazu beitragen, eine multiperspektivische ethische Reflexionskompetenz bei der Aushandlung von Wertekonflikten auszubilden.
Das Luisenkrankenhaus-Rollenspiel sieht dazu unter anderem die Spielrollen Geschäftsführung, Arzt, Pflegekraft und Patient vor. Die Studierenden sahen sich so vor der Herausforderung, sich in zunächst fremde Berufsbilder und Alltagswelten hineinzuversetzen und auf der Grundlage konfligierender Handlungsanweisungen eigenständige Lösungsperspektiven für die gestellte Aufgabe, KI-Technologien am Luisenkrankenhaus zu implementieren, zu entwickeln. Der Versuch im Sommersemester 2023 gelang: Die Seminarteilnehmer entwickelten Kompromisslinien zwischen ökonomiezentrierten Werten, wie sie vor allem von der Geschäftsführerin vorgebracht wurden, und sicherheitsorientierten Werten, die in der Spielsituation vor allem von der Gruppe der Patienten vertreten wurden.
Der Aufsatz in der Schriftenreihe Medienethik | Digitale Ethik wird durch eine Arbeitsmappe mit didaktischem Begleitmaterial als Teil der IKID-Whitepaperserie ergänzt, die es als Open Educational Ressource interessierten Lehrpersonen ermöglicht, das "Luisenkrankenhaus-Rollenspiel" selbst zur Anwendung zu bringen.
Erschienen in:
Ethik der Digitalisierung in Gesundheitswesen und Pflege. Analysen und ein Tool zur integrierten Forschung (Medienethik | Digitale Ethik, Bd. 21)Auf den Seiten: 47-62
Autoren: Doria, Jan
Hrsg.: Petra Grimm, Oliver Zöllner
Erscheinungsjahr: 2025
Verlag: Franz Steiner Verlag
Ort: Stuttgart
Weiterführende Links:
https://biblioscout.net/book/10.25162/9783515135528
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